Stürme, Dürre und Borkenkäfer - alles Folgen des Klimawandels, die dem heimischen Wald zusetzen. Jahr für Jahr vermeldet der Waldzustandsbericht NRW weitere traurige Nachrichten über kahl werdende Baumwipfel, zu abertausenden abgestorbenen Fichten und ausgetrocknete Böden.
Alle zehn Jahre gibt es dann die sogenannte Bundeswaldinventur. Im Unterschied zum Waldzustandsbericht, bei dem stichprobenartig einzelne Bäume untersucht werden, soll die Bundeswaldinventur laut Bundeslandwirtschaftsministerium "einen Gesamtüberblick über die großräumigen Waldverhältnisse und forstlichen Produktionsmöglichkeiten" liefern. Wichtigste Parameter dabei: Waldfläche, Eigentumsarten, Baumartenverteilung, Alter, Vorrat, Nutzung, Struktur, Mischung, Totholz.
Wald funktioniert nicht mehr als Klimaschützer
2024 ist es wieder so weit: NRW-Landwirtschaftsministerin Silke Gorißen (CDU) stellte am Donnerstag die Ergebnisse für NRW vor. Sie hatte dazu in den Wald bei Arnsberg geladen. Zusammengefasst: Der Wald in Nordrhein-Westfalen ist vielfältiger geworden, es gibt zunehmend mehr Laubbäume.
Gleichzeitig hat sich der Wald in den vergangenen Jahren aufgrund der Klimakrise aber von einem Kohlenstoff-Speicher zu einer Kohlenstoff-Quelle gewandelt. Seit 2017, so die Erkenntnis, tragen die deutschen Wälder durch die enormen klimabedingten Schäden nicht mehr zur Speicherung des klimaschädlichen Treibhausgases CO2 bei.
Die gute Nachricht: Die Menge an Totholz ist um ein Drittel gegenüber der letzten Inventur gestiegen. Mit der Zunahme an alten und dicken Bäumen gebe es außerdem auch mehr ökologisch wertvolle Mikrohabitate an diesen Bäumen, heißt es. Außerdem seien die Wälder mit einer größeren Baumartenmischung vielfältiger geworden.
Ministerin Gorißen sprach am Donnerstag im Arnsberger Wald von einem "sehr guten Ergebnis": Der Wald bleibe in seiner Größe stabil.
Özdemir besorgt, Gorißen optimistisch
Bereits vor zwei Wochen hatte ihr Kollege auf Bundesebene, Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), den Bericht in Berlin vorgestellt - und ein wesentlich düstereres Fazit gezogen: "Das grüne Herz unseres Landes gerät außer Takt", hatte er angesichts des verringerten CO2-Speicherns durch den Wald gesagt. "Das wäre ungefähr so, als wenn die Klimaanlage statt zu kühlen heizen würde."
Das sieht Gorißen offenbar anders: "Wir sehen den Wald als ganz starken CO2-Speicher an", erklärte sie, "in dem die Bäume hier stehen, wachsen und größer werden". Außerdem betreibe NRW eine nachhaltigen, gute Holzwirtschaft. Dadurch würde gespeichertes CO2 im Holz auch abtransportiert, beispielsweise zur Möbelherstellung.
Nach wie vor sei der Borkenkäfer eine große Belastung. Noch immer lägen 140.000 Hektar gefallene Fichten brach und müssten wieder aufgeforstet werden.
BUND: Holzwirtschaft trägt Mitschuld
Das Lob für eine "gute Holzwirtschaft" kann Holger Sticht, NRW-Vorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) nicht teilen. Im Gegenteil: Ministerin Gorißen kehre die forstwirtschaftliche Verantwortung damit unter den Tisch, sagte er am Donnerstag. Dass hunderttausende Hektar Fichten gestorben sind, liege auch daran, dass Waldbesitzer und Förster jahrzehntelang auf die schnell wachsenden Nadelbäume gesetzt hätten. "Die ökologisch instabilen Nadelholzplantagen sind ja nicht vom Himmel gefallen", so Sticht.
Der BUND kritisiert, dass diese Fehler durch die aktuell verbreitete Aufforstung großer Flächen mit nichtheimischen Douglasien und Küstentannen wiederholt würden. Auch bei vielen aufgeforsteten Mischwäldern würden "erneut instabile Forste an den Start gebracht". Artenreiche und klimaresiliente Wälder ließen sich nicht bauen, "sie müssen sich auf Grundlage der natürlichen Voraussetzungen entwickeln", so Sticht.
Der Inventurbericht datiert auf das Jahr 2022, wurde aber erst Anfang Oktober in Berlin vorgestellt. Jetzt wurden auch die Daten für NRW ausgewertet.
In deutschen Wäldern stehen 100,4 Milliarden Bäume, die höher als 20 Zentimeter sind. Wie es einem einzelnen Baum geht, lässt sich unter anderem daran erkennen, wie beblättert die Baumkrone ist. Rund 521.000 Bäume wurden für die Bundeswaldinventur begutachtet.
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Auf tote Fichten folgen neue Bäume
Klassische Baumarten wie die Fichte sind demnach mancherorts stark reduziert oder verschwunden. Der Holzvorrat habe im Zehn-Jahresvergleich um rund 15 Prozent abgenommen. Dennoch wachse der Wald noch. "Wo die Fichte ausgefallen ist, entstehen in Nordrhein-Westfalen neue Wälder, die deutlich jünger und vielfältiger sind", hieß es laut Mitteilung.
Auch im Zuge des Umbaus zu mehr Mischwäldern sei der Anteil von Laubbäumen auf 65 Prozent gestiegen. 2012 hatte er noch bei 57 Prozent gelegen, bei der allerersten Waldinventur vor fast 40 Jahren waren es weniger als 50 Prozent.
Ministerin: Wald als Generationenaufgabe
Der "Umbau" hat einen Plan: "Wir können gezielt Einfluss nehmen und die Wälder so gestalten, dass sie mit den Folgen des Klimawandels besser zurechtkommen", sagt Alexander Weller vom Landesbetrieb Wald und Holz. Im wachsenden Wald werde kontinuierlich CO2 aus der Atmosphäre entnommen und im Holz gebunden.
Der Aufbau klimaanpassungsfähiger Wälder sei eine Generationenaufgabe, betonte Ministerin Gorißen am Donnerstag. Der Wald erfülle wichtige Funktionen für Natur, Holzwirtschaft und Gesellschaft. "Aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse sind daher wichtiger denn je, um unseren Wald in Zeiten des Klimawandels mit all seinen Facetten und Strukturen beurteilen zu können."
Siechende Bäume trotz regenreichem Jahr
Zwar hat es in diesem Jahr deutlich mehr geregnet, als in den Jahren davor. Dennoch sei bundesweit in Deutschland nur einer von fünf Bäumen gesund, hieß es im Waldzustandsbericht 2023, der im Mai vorgestellt wurde. Der Zustand von Buchen und Eichen habe sich weiter verschlechtert. Mit einem Anteil von 46 Prozent deutlich geschädigter Kronen weise die Buche den höchsten Schadensanteil unter den Laubbäumen auf. Bei den Eichen beträgt er 44 Prozent. Auch bei der Fichte sieht es nicht gut aus: Bei ihr stieg der Anteil der Bäume mit deutlich sichtbarem Nadelverlust von 40 auf 43 Prozent.
Auch wenn laut Bericht insgesamt eine Verjüngung festgestellt wurde, gebe es eine Flächenzunahme bei sehr alten Wäldern . "Diese Entwicklung ist erfreulich für den Artenschutz, denn alte Wälder bieten Lebensräume für viele seltene Tier- und Pflanzenarten", sagt der Landesverband Wald und Holz. Laut Inventurbericht sind im dicht besiedelten NRW 28 Prozent der Fläche von Wald bedeckt. 63 Prozent davon ist in Privatbesitz.
Quelle:
- Pressemitteilung NRW-Landwirtschaftsministerium
- Bundeslandwirtschaftsministerium
- Nachrichtenagentur DPA