Stabsstelle eingerichtet
In seiner Regierungserklärung am 30. August hat Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) das Thema Einsamkeit ganz oben auf seine Agenda gesetzt. Dabei appellierte er an das Zusammengehörigkeitsgefühl: "Eine Wohlstandsgesellschaft, die Einsamkeit hinnimmt, beraubt sich ihres eigenen Vermögens." Eine Enquetekommission des Landtags hatte schon in der letzten Wahlperiode mehr als 60 Vorschläge gegen die Einsamkeit im Land erarbeitet.
Seit vergangener Woche nun hat die Düsseldorfer Staatskanzlei eine Stabsstelle für die Bekämpfung von Einsamkeit eingerichtet. Aber was genau ist ihre Aufgabe? Ein Interview dazu lehnte die Landesregierung ab. Schriftlich antwortet die Staatskanzlei, es habe in der vergangenen Woche dazu einen Gedankenaustausch zwischen dem Ministerpräsidenten, Sachverständigen und Abgeordneten gegeben, die der Enquetekommission Landtag angehört haben. Ziel sei es, die wissenschaftliche Datenbasis zum Thema Einsamkeit zu verbessern.
Einsamkeit - so schädlich wie 15 Zigaretten täglich
Während vor Corona vor allem die Ältesten der Gesellschaft von Einsamkeit betroffen waren, hat das Phänomen nun die ganze Gesellschaft erreicht, sagt Professorin Maike Luhmann, die sich an der Ruhr-Universität Bochum mit dem Thema beschäftigt und als Expertin in der Enquetekommission des Landtags saß. Für jüngere Menschen sei fehlender Kontakt zu anderen Menschen besonders schlimm. Für die Betroffenen bedeutet es zum Beispiel ein größeres Risiko zu erkranken. Luhmann listet Depressionen, Schlafstörungen und Herz-Kreislauf-Schäden auf. Studien zeigten sogar, dass Demenz und ein früherer Tod das Resultat längerer Einsamkeit sein können.
Im Abschlussbericht der Enquetekommission heißt es, Einsamkeit könne genauso schädlich sein wie der Konsum von 15 Zigaretten am Tag, wie Alkoholmissbrauch oder Übergewicht. In Großbritannien hat man gesellschaftliche Folgekosten von 12.000 Pfund errechnet, die das Gesundheitssystem für eine einsame Person schultern müsse.
Von den Briten lernen
Deshalb hat man im Vereinigten Königreich bereits 2018 eine Einsamkeitsministerin ernannt. Und laut Luhmann könne man von den Briten durchaus lernen. Dort gebe es beispielsweise inzwischen das sogenannte "social prescribing". Bedeutet: der Hausarzt kann nicht nur medizinische Maßnahmen verschreiben, sondern dem Patienten auch soziale Organisationen nennen, die beispielsweise ehrenamtliche Helfer suchen oder die Treffpunkte und Gespräche anbieten.
In den Niederlanden hat man die sogenannten "Plauderkassen" in Supermärkten etabliert, an denen nicht nur die Ware eingescannt wird, sondern wo es auch Zeit für ein kleines Pläuschchen mit der Kassiererin gibt. Denn viele Einsame haben oft tagelang keine Möglichkeit, mit jemandem zu sprechen.
Aktionsbündnis gegen Einsamkeit?
Und in NRW? Die Enquetekommission hat 65 Handlungsempfehlungen vorgelegt. Umgesetzt ist davon - abgesehen von der Einrichtung einer koordinierenden Stabsstelle - bisher nichts; obwohl Hendrik Wüst in seiner Regierungserklärung mahnte, man dürfe sich mit der "Unsichtbarkeit dieser Menschen nicht abfinden".
Die Mitglieder der Kommission hatten zum Beispiel vorgeschlagen, den Kommunen Maßnahmen gegen Einsamkeit als Pflichtaufgabe aufzuerlegen und sie finanziell entsprechend auszustatten. Außerdem solle unter anderem ein Aktionsbündnis gegen Einsamkeit gegründet und eine wissenschaftliche Studie zu den gesellschaftlichen Kosten des Phänomens in Auftrag gegeben werden.
Einsamkeit fördert Extremismus
Für die Wissenschaftlerin Maike Luhmann ist das Wichtigste, dass NRW einen Einsamkeitsbeauftragten ernennt, der Ansprechpartner und Koordinator ist zwischen Wissenschaftlern, Praktikern, Betroffenen und Politik. Denn im Kampf gegen Einsamkeit dürften nur solche Maßnahmen zur Anwendung kommen, die auch wirklich wirken.
Auch die Bundesregierung arbeitet nach Auskunft des Bundesfamilienministeriums seit Juni an einer Strategie gegen Einsamkeit. Denn aus Einsamkeit könnte, jenseits der gesundheitlichen Folgen, ein gravierendes politisches Problem entstehen. Laut Einsamkeits-Forscherin Luhmann lassen erste Untersuchungen erkennen, dass einsame Menschen eher zu Extremismus neigen und Verschwörungserzählungen folgen.
Über das Thema berichtet u.a. Westpol am Sonntag (18.12.2022) um 19:30 Uhr.