Heiße Debatte um Altschulden im Landtag

Stand: 13.06.2024, 16:29 Uhr

Um verschuldeten Kommunen zu helfen, setzt NRW auch auf den Bund. Der hat auf den Lösungsvorschlag aber bisher nicht reagiert. Die SPD bietet an, "gemeinsam nach Berlin" zu fahren.

Von Thomas Drescher und Nina Magoley

Gut gelaunt und entspannt erschien NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) am Donnerstagmorgen auf einer Pressekonferenz vor Journalisten in Düsseldorf. NRW sei nach zwei Jahren Schwarz-Grün im Großen und Ganzen auf gutem Kurs. Ja, es gebe auch Probleme - Thema Flüchtlingsunterbringung etwa oder den Lehrermangel - aber an den meisten sei man dran. So ungefähr sein Tenor.

Was die schwarz-grüne Landesregierung bislang nicht im Ansatz gelöst hat, ist die hohe Verschuldung der meisten Kommunen. Wenn Schwimmbäder oder Theater schließen müssen, wenn marode Schulen nicht saniert werden können - dann liegt das meist daran, dass die jeweilige Kommune kein Geld dafür hat. Oder sogar, wie in vielen Kommunen NRWs der Fall, hoch verschuldet ist.

Vergangene Woche hatte der Städte- und Gemeindebund den aktuellen Investitionsstau in Städten und Gemeinden NRWs auf insgesamt 50 Milliarden Euro beziffert. Bis Ende 2023 hatten die Kommunen in NRW fast 21 Milliarden Altschulden angesammelt.

Wüst: Im Zweifel auch ohne den Bund

Auch dazu gab Wüst (CDU) sich kämpferisch optimistisch: Er erwarte, dass der Bund seine Zusagen einhalte und seinen Anteil zur Lösung der kommunalen Schuldenkrise leistet. Im Zweifel, so ließ Wüst etwas verklausuliert durchblicken, werde das Land Nordrhein-Westfalen eine Altschuldenregelung für die Kommunen auch ohne Beteiligung des Bundes auf die Beine stellen. Spoiler: So steht es ohnehin im Koalitionsvertrag von CDU und Grünen in NRW.

Darin heißt es wörtlich: "Sollte der Bund seiner Verantwortung nicht nachkommen, bekennen wir uns dazu, im kommenden Jahr selbst eine Lösung herzustellen und dafür einen Altschuldenfonds einzurichten, der für die teilnehmenden Kommunen eine substanzielle und bilanzielle Entlastung bringt."

Die Regelung der Altschulden hatten sich auch die Ampelparteien in Berlin in ihren Koalitionsvertrag geschrieben. Was Wüst auf der Pressekonferenz gleich zu einer Einschränkung verleitete: "Als Kaufmannssohn wäre ich doof, wenn ich jetzt sage: Zur Not mache ich es auch allein", sagte er. "Ich erwarte vom Bund, dass er mittut".

Hitziger Schlagabtausch zur Altschuldenfrage

Wer ahnte da, dass nur ein halbe Stunde später nebenan im Plenarsaal die Vertreter aller Parteien genau zu diesem Thema aggressiv aufeinander losgehen würden. Die SPD hatte eine "Aktuelle Stunde" zum "Rekordinvestitionsstau in den NRW-Kommunen" beantragt. Kampfthese: Wegen "kommunalfeindlicher Politik" der Landesregierung drohe die Heimat der Menschen zu verfallen.

"Verstoß gegen Generationengerechtigkeit": Jochen Ott | Bildquelle: Thomas Banneyer/dpa

"Dieser Investitionsstau ist ein riesiger Schuldenberg, den wir unseren Kindern hinterlassen", stellte der SPD-Fraktionsvorsitzende Jochen Ott fest. Für die kommenden Generationen bedeute das "weniger Lebensqualität, große Umweltschäden, eine schwächere Wirtschaft und geringere Einkommen". 

Er nannte Beispiele, wonach schon mancherorts Schulen geschlossen blieben, weil die Heizung nicht funktionierte, wo es durchs Dach regne oder kein WLAN gebe. Der Investitionsstau sei "ein massiver Verstoß gegen die Generationengerechtigkeit", rief Ott.

Und obwohl die Landesregierung "keine erfolgreichen Rezepte für die Probleme im Land" habe, hätte Ministerpräsident Wüst in seiner Pressekonferenz Minuten zuvor "die Lage schöngeredet".

Empörung bei den Regierungsparteien

Starker Tobak für die Angesprochenen, die sich dann auch dementsprechend in Rage redeten. Redner von CDU, FDP, Grünen und der AfD ergingen sich in Streitereien darum, welche Landesregierung eigentlich für den Schuldenberg der Kommunen verantwortlich sei.

Und manchmal entstand fast der Eindruck, dass von verschiedenen Planeten die Rede ist. So erklärte Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU), für die Kommunen gehe der Weg durch massive Investitionen des Landes seit 2017 "nur nach oben". Seit 2017, das muss man wissen, führt die CDU die Landesregierung an.

"Risikofaktor": Heinrich Frieling | Bildquelle: WDR/privat

Heinrich Frieling von der CDU beschimpfte SPD-Mann Ott aufgrund seiner "Polemik" als "zweitgrößten Risikofaktor nach der AfD für Parlamentsarbeit in NRW". Ott solle vielmehr seine Parteikollegen in Berlin dazu bringen, ihren Anteil an der Altschuldelösung zu leisten. "Alles wartet nur auf den Bund", so Frieling.

Was wiederum den SPD-Fraktionsvorsitzenden nochmal ans Rednerpult führte: Das sei "die größte auch persönliche Diffamierung", die er selber je gehört habe, brummte Ott drohend. Und dann laut und scharf in Richtung CDU-Block: "Ich werde mir von Ihnen nicht den Mund verbieten lassen".

Bislang keine offizielle Reaktion aus Berlin

Marode Schulen, leere Kassen | Bildquelle: picture alliance / SZ Photo / Alessandra Schellnegger

Vergangene Woche hatte die Landesregierung dem Bund ihren Vorschlag zur Altschuldenregelung unterbreitet. Danach will das Land insgesamt 7,5 Milliarden übernehmen und fordert vom Bund eine Beteiligung in gleicher Höhe. Die Zahlungen sollen über 30 Jahre gestreckt werden. Mit den zusammen 15 Milliarden könnte ein Großteil der Schuldenlast von fast 21 Milliarden übernommen werden.

Eine offizielle Reaktion aus dem Hause von Finanzminister Christian Lindner (FDP) habe er bisher nicht erhalten, sagte Wüst am Morgen. Inoffiziell hätten aber mehrere Politiker aus den Ampelparteien positiv auf die Initiative aus Düsseldorf reagiert, ihm gar gratuliert. Auch aus anderen Bundesländern habe er positive Rückmeldungen erhalten.

SPD will mit Wüst nach Berlin fahren

Ott stieg in seiner Rede darauf ein: Wenn eine Lösung "in Sicht" sei, habe Wüst die volle Unterstützung der NRW SPD. Er schlug vor, gemeinsam aktiv zu werden: "Wenn es sein muss, fahre ich mit Herrn Wüst gemeinsam nach Berlin und München." Zusammen könne man Friedrich Merz und Markus Söder "bearbeiten, um die notwendigen Mehrheiten zu bekommen". 

Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Mehrdad Mostofizadeh, nahm den Faden auf: "Wir müssen zusammenstehen", sagte er an die SPD gewandt, "um mit den anderen Bundesländern einen Kompromiss zu finden".

Wüst will nicht an Schuldenbremse rütteln

Angesprochen auf neue Schulden, die für den Landeshaushalt in 2024 und 2025 aufgenommen werden sollen, sagte Wüst am Morgen noch, er sehe keinen Anlass die, Schuldenbremse grundsätzlich infrage zu stellen. Es sei möglich, innerhalb der Regelungen der Schuldenbremse kurzfristige Kredite aufzunehmen, wenn die Konjunktur schwächelt. Man müsse sie nur zügig zurückzahlen, sobald die Konjunktur wieder anspringt und neue Steuereinnahmen fließen.

Investitionsstau in den Kommunen WDR 5 Westblick - aktuell 13.06.2024 02:08 Min. Verfügbar bis 13.06.2025 WDR 5

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