Am 19. Januar um 7.30 Uhr unserer Zeit soll die Waffenruhe in Kraft treten und zunächst für 42 Tage gelten. In der ersten Phase sollen 33 der insgesamt 98 Geiseln freikommen. Im Gegenzug sollen 700 bis 1.000 palästinensische Häftlinge aus der Haft entlassen werden - rund und ein Drittel dieser Häftlinge wurde in Israel rechtskräftig verurteilt.
Weltweit ist die Erleichterung über die Waffenruhe groß. Aber was denken Menschen in Israel und Gaza? Welche Hoffnungen und welche Ängste haben sie?
Große Erleichterung
Jouanna Hassoun ist gebürtige Palästinenserin. Als Kind ist sie nach Deutschland geflüchtet. Als Sozialarbeiterin und psychologische Beraterin ist sie regelmäßig an deutschen Schulen unterwegs, um über den Nahost Konflikt aufzuklären.
"Ich konnte es ehrlich gesagt erst mal überhaupt nicht glauben", sagt sie und beschreibt, dass die Erleichterung bei den Palästinensern sehr groß sei, weil keiner mehr wirklich geglaubt hätte, dass endlich ein Waffenstillstand möglich sein würde.
Hoffnung auf Ruhe und Frieden
Hassoun hofft, dass die Menschen, "die so lange auf einen Waffenstillstand gewartet haben, endlich zur Ruhe kommen und dass die Geiseln jetzt befreit werden und zu ihren Familien zurückkommen."
Seit langer Zeit setzt sie sich für den Dialog zwischen Palästinensern und Israelis ein. Sie sagt: "Begegnung ist das A und O." Eine friedliche Co-Existenz zwischen Palästinensern und Israelis hält sie für möglich, aber sie sagt auch, dass es bis dahin noch ein weiter Weg ist. Es würde voraussetzen, dass man an einem Tisch zusammenkommt und dass man die Existenz des jeweils Anderen akzeptiert.
"Gefühlslage ist auf jeden Fall sehr extrem"
Lisa Michaijlova ist Jüdin und wurde in Gelsenkirchen geboren. Mittlerweile studiert sie seit 1,5 Jahren in Tel Aviv. Auf die Frage, wie die Menschen in Tel Aviv zu der Waffenruhe stehen, sagt sie: "Die Gefühlslage ist auf jeden Fall sehr extrem."
Auf der einen Seite gäbe es natürlich extreme Freude, vor allem bei den Angehörigen der Geiseln. Gleichzeitig würde das Abkommen auch ein Gefühl von Unsicherheit bei den Menschen hervorrufen. Man wisse beispielsweise nicht, welche Geiseln freigelassen würden und welche nicht, in welchen Zustand sie sich befänden.
Auch das Abkommen selbst würde die Menschen verunsichern. Denn: Es sei kein Geiselaustausch, sondern ein Austausch zwischen Geiseln und Verbrechern, die zum Teil rechtmäßig in Israel verurteilt wurden. Man fürchte, dass durch die Freilassung so vieler Krimineller "die Sicherheit runtergeht und der Extremismus hochgeht", sagt Michaijlova.
Michaijlova glaubt, dass die Menschen in Israel hauptsächlich Angst davor hätten, dass ein "endloser Kreis, ein endloser Zirkel" entsteht. Ein Kreis, in dem es jetzt eben eine Waffenruhe gibt, die aber vielleicht vonseiten der Hamas dafür genutzt wird, weitere Terroristen zu rekrutieren. Dann könne es wieder zu einem Krieg kommen, in dem noch mehr Zivilisten getötet würden.
"Hier ist genug Platz für alle"
Michaijlova wünscht sich "weniger Extremismus auf islamistischer Seite", aber auch weniger "extrem rechten Nationalismus" seitens Israels.
Sie hoffe darauf, dass die Menschen irgendwann endlich die Idee annehmen würden, dass dieses Land für alle Menschen da ist, "die sich an Demokratie und an gegenseitigen Respekt halten wollen."
"Aktuell gibt es keinen sicheren Ort in Gaza."
Auch viele palästinensische Menschen in Deutschland hoffen auf Frieden in Gaza. Gleichzeitig wird die Nachricht einer Waffenruhe mit großer Vorsicht genossen.
Wail Jarrar aus Essen hat palästinensische Wurzeln und sagt, dass er erst die Sicherheit bekommen wird, dass die Waffen ruhen, wenn sich die israelischen Soldaten komplett aus dem Gazastreifen zurückgezogen haben. "Erst dann werde ich das Gefühl haben, dass tatsächlich eine Waffenruhe herrscht."
Ahmed Alamami aus Witten hat in Gaza drei Kriege miterlebt. Dieser Krieg ist für ihn mit keinem anderen vergleichbar. "Die vergangenen Kriege haben nie so lange angedauert wie der aktuelle Krieg. Und es gab immer einen sicheren Korridor für Zivilisten, der auch tatsächlich sicher war. Aktuell gibt es keinen sicheren Ort in Gaza."
Verluste auf beiden Seiten
Michaijlova sagt, dass das Leid in Gaza in Israel ähnlich diskutiert würde wie in Deutschland. - "Auch hier treffen halt ständig Gegenseiten aufeinander, wo man sagt, ja, da bin ich nicht mit einverstanden, oder das andere muss gemacht werden." Anders als in Deutschland sei man hier jedoch direkt betroffen. Daher habe sie das Gefühl, dass der Diskurs in Tel Aviv sehr viel fruchtbarer sei. Beide Seiten hätten viel verloren, sagt sie. Daher hätte man mehr Verständnis für den jeweils anderen.
Wail Jarrar hofft auf Frieden für alle. Jouanna Hassoun hofft auf mehr Dialog und Akzeptanz und darauf, dass die Menschen in Nahost endlich zur Ruhe kommen. Und Lisa Michaijlova sagt in Tel Aviv wünsche man sich eigentlich nur, dass die Zivilisten sowohl in Gaza als auch hier in Israel geschützt werden. Sie vermutet, dass das erst der Anfang ist. "Wir werden sehen, was in den nächsten Wochen passiert", so Michaijlova.
Quellen:
- Nachrichtenagentur dpa
- Jouanna Hassoun im Gespräch mit dem WDR
- Lisa Michaijlova im Gespräch mit dem WDR
- Interview mit Wail Jarrar
- Interview mit Ahmed Alamami