Öltanker vor Rügen: Wie gefährlich ist Russlands Schattenflotte?

Stand: 11.01.2025, 16:40 Uhr

Russland wird vorgeworfen, die europäische Sicherheit durch marode Schiffe zu gefährden. Was man unter der russischen Schattenflotte versteht. Fragen und Antworten.

Es hätte in der Ostsee zu einer Ölkatastrophe kommen können. Der unter der Flagge von Panama fahrende Tanker "Eventin" war von Russland nach Ägypten unterwegs, als am Freitag nördlich von Deutschlands größter Insel die Maschine ausfiel und der Tanker mit 99.000 Tonnen Öl an Bord manövrierunfähig auf den Wellen trieb.

Deutschen Einsatzschiffen gelang es wenige Stunden später, den 274 Meter langen Tanker zu sichern. Er wurde inzwischen von drei leistungsstarken Schleppern Richtung Osten gezogen. Der Tanker "Eventin" soll zu Russlands sogenannter Schattenflotte gehören. Doch was versteht man darunter?

Was bedeutet "Schattenflotte"?

Gemeint sind Tanker und andere Frachtschiffe, die Russland benutzt, um Sanktionen infolge der Invasion in die Ukraine zu umgehen, etwa beim Öltransport. Moskau wird seit langem vorgeworfen, beim Transport und der Verschleierung seiner Exporte auf Schiffe zu setzen, die undurchsichtige Eigentümerstrukturen aufweisen und oft die Flagge wechseln, unter der sie fahren. Dazu würden Länder mit Gesetzen genutzt, die deutlich laxer seien als die im Westen.

Die Tanker der russischen Schattenflotte sind nach Angaben der Umweltorganisation Greenpeace nicht nur alt und in schlechtem Zustand, sondern vielfach auch unzureichend versichert, so dass unklar ist, wer im Ernstfall für Schäden wie durch eine Ölpest aufkommt. Teilweise sind laut Greenpeace nicht einmal aktuelle Seekarten an Bord.

Wie viele solcher maroder Schiffe umfasst Russlands Schattenflotte?

Das ist unklar. Die gefährlichsten Schiffe der russischen Schattenflotte hat Greenpeace gelistet. Es gehe um 192 marode Tanker, die weltweit russisches Öl transportieren und die Umwelt bedrohen. 171 davon seien in den vergangenen zwei Jahren einmal oder öfter durch die deutsche Ostsee und das Seegebiet der Kadetrinne in der Mecklenburger Bucht gefahren, so Greenpeace.

Zwar hat die Europäische Union am 16. Dezember 2024 eine Sanktionsliste um Tanker der russischen Schattenflotte erweitert. Diese reicht jedoch laut Greenpeace bei weitem nicht aus. Von der Greenpeace-Liste seien nur acht Schiffe auf die Sanktionsliste übernommen worden, die restlichen Tanker würden auch weiterhin durch die Ostsee fahren können. 

Warum sind die maroden Tanker so gefährlich?

Die Havarie des Öltankers "Eventin" sei "nur das jüngste Beispiel dafür, wie die Schiffe der russischen Schattenflotte tagtäglich die Ostseeküste bedrohen", sagte Greenpeace-Meeresbiologe Thilo Maack. "Jeden Tag fahren schrottreife Tanker von den russischen Ölhäfen Primorsk und Ust-Luga Richtung Südwesten." Ein Ölunfall in der Ostsee wäre eine Katastrophe für die hier lebenden Meeressäuger, Seevögel sowie weitere Arten und würde ihren Lebensraum stark gefährden.

Außenministerin Annalena Baerbock sieht neben Risiken für Umweltschäden auch den Tourismus in der Ostseeregion gefährdet. "Mit dem ruchlosen Einsatz einer Flotte von rostigen Tankern umgeht Putin nicht nur die Sanktionen, sondern nimmt auch billigend in Kauf, dass der Tourismus an der Ostsee zum Erliegen kommt - sei es im Baltikum, in Polen oder bei uns", sagte die Grünen-Politikerin. Mit den Schiffen finanziere Russland seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine.

Was sagt Russland zu den Vorwürfen?

Dass russische Energieunternehmen eine Schattenflotte nutzen, um etwa Öl auf den Weltmarkt zu bringen, ist auch in russischen Medien ein Thema. Offiziell äußert sich das Land aber nicht zu den Vorwürfen. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagte nur, dass das Thema nicht zu den Zuständigkeiten der Präsidialverwaltung gehöre. Klar ist aber, dass Russland wegen verschiedener Embargos immer wieder Wege suchte, seine Waren trotz westlicher Strafmaßnahmen zu verschiffen. 

Immer wieder verwies der Kreml darauf, dass es für russische Reedereien schwer sei, etwa Versicherungen für Schiffstransporte zu finden. Auch deshalb dürfte die Schattenflotte mit undurchsichtigen Eigentumsverhältnissen bei alten Frachtern ein Weg sein, den Moskau zunehmend nutzt. Dabei verlässt sich die Rohstoffgroßmacht auch darauf, dass Sanktionen nicht allzu streng überwacht werden. Niemand habe ein Interesse, dass durch ein Fehlen des Öls aus Russland, das zu den größten Exporteuren gehört, die Preise in die Höhe schnellen, meinen Analysten in Moskau.

Sind die Schiffe von Russlands Schattenflotte "nur" für Umwelt und Tourismus ein Problem?

Nein. Der Öltanker ""Eagle S", der ebenfalls zur russischen Schattenflotte gehören soll, hatte vor wenigen Wochen, am 1. Weihnachtsfeiertag, insgesamt vier Telekommunikations- und ein Stromkabel in der Ostsee zwischen Finnland und Estland beschädigt. Die finnischen Ermittler vermuten einen Sabotageakt. Die NATO verstärkte ihre Präsenz in der Ostsee.

Ist die Bedrohung größer geworden?

In letzter Zeit traten wiederholt Schäden an der Infrastruktur unter Wasser auf. Fast im Monatsrhythmus beschädigten Schiffe wichtige Kabel in der Ostsee, so Außenministerin Baerbock. Die Besatzungen würden Anker zu Wasser lassen, über den Meeresboden ziehen und beim Hochziehen verlieren. Es falle ihr mehr als schwer, da noch an Zufälle zu glauben.

Warum immer wieder die Ostsee?

Die Ostsee gehört zu den am meisten befahrenen Meeren der Welt. Täglich sind auf dem Binnenmeer mehr als 2.000 Schiffe unterwegs, wie das Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde (IOW) mitteilte. Ein Teil der Schiffe kommt aus Russland. Die Ostsee ist aus Sicht von Litauens Außenminister Kestutis Budrys "das wichtigste Tor für Russlands Ölexporte". Er sprach sich für ein entschiedeneres Vorgehen und weitere Maßnahmen gegen Russlands Schattenflotte aus.

Unsere Quellen: