Mozarts letzte Sinfonien
Die letzten drei Sinfonien von Mozart – so dreieinig wie disparat. Er hat sie nicht nur in großer zeitlicher Nähe konzipiert und komponiert, sondern mit ihnen eine Werkgruppe geschaffen, die gerade durch ihre Unterschiedlichkeit als große Trias gilt. Laut Mozarts "Verzeichnüß aller meiner Werke" hat er diese drei Sinfonien in wahnwitzig kurzer Zeit geschrieben, innerhalb von nur wenigen Wochen des Sommers 1788. Er hat sie wie folgt datiert: Sinfonie Es-Dur 26. Juni, Sinfonie g-Moll 25. Juli, Sinfonie C-Dur 10. August. Bemerkenswert ist nicht nur die Konzentration der Entstehungszeit, bemerkenswert sind diese drei Sinfonien auch in ihrer Klangsprache, in ihrer abwechslungsreichen motivischen und harmonischen Gestaltung, in ihren Kontrasten – innerhalb eines jeden Werks und im gegenseitigen Vergleich – kurz: in ihrer "Größe", ihrer Vollendung.
Generationen von Musikforscherinnen und -forschern habe darüber gerätselt – und sich teilweise in Mutmaßungen überboten –, zu welchem Anlass Mozart diese drei Sinfonien geschaffen habe. War es aus reiner Freude an seinem eigenen Genius? Hatte er einen Kompositionsauftrag? Gab es eine konkrete Aufführung, auf die er hinarbeitete? Darauf ließe eine Bemerkung in einem Brief aus dem Entstehungsjahr schließen, in dem Mozart "Academien im Casino" erwähnt. Meint er damit eigene Akademien? Oder von einem anderen Veranstalter? Und um welches Kasino handelt es sich? All dies sind Spekulationen – die Wahrheit ist: Wir wissen nichts Genaues. Das nimmt umso mehr wunder, als es hier um Mozarts wohl bedeutendste Orchesterwerke geht. Und es stellen sich weitere Fragen: Hat der Komponist sie als Zyklus konzipiert? Hat er bewusst all sein Können in die Waagschale geworfen, um durch das Aufbieten möglichst unterschiedlicher Gestaltungsformen und -details seine Überlegenheit zu demonstrieren? Oder sind die drei Sinfonien eine Verneigung vor seinem väterlichen Freund Joseph Haydn, der im Dezember des Vorjahres als sein Opus 51 drei Sinfonien (die Nummern 82 bis 84) veröffentlicht hatte, die in ebendiesen Tonarten stehen: C-Dur, g-Moll und Es-Dur? Ein Zufall bei derselben Tonartenwahl ist kaum denkbar, insbesondere nicht, was das eher seltene g-Moll anbelangt.
Sinfonie Nr. 39 Es-Dur KV 543
Im frühen 19. Jahrhundert kannte man die Es-Dur-Sinfonie als Mozarts "Schwanengesang". Man hielt sie für sein letztes großes Werk – ungeachtet der g-Moll- und der C-Dur-Sinfonie. Das hängt damit zusammen, dass Orchesterwerke seinerzeit vielfach in Kammermusik-Bearbeitungen veröffentlicht wurden. In einer populären Ausgabe für Klavier, Flöte, Violine und Violoncello von Mozarts Schüler Johann Nepomuk Hummel steht die Es-Dur-Sinfonie an letzter Stelle.
Mozart eröffnet das Werk mit einer langsamen Einleitung. Diesen Formteil sieht der Musikforscher und Dirigent Peter Gülke – der für die drei Sinfonien die These eines Zyklus ins Spiel gebracht hat – als Eröffnung der gesamten Trias: feierlich, Bedeutendes ankündend, harmonisch geschärft. Der schnelle Hauptteil überrascht dann fast mit einer sprühenden Leichtigkeit. Wie Mozart hier auf kleinstem Raum versonnene Zartheit, Jubel, kurze melancholische Eintrübungen und Dramatik bündelt, wirkt umso souveräner, da es ihm gelingt, die Kontraste wie selbstverständlich daherkommen zu lassen. Die Gemüter immer wieder bewegt hat der Schluss dieser Sinfonie. So nannte ihn der Schweizer Musikgelehrte Hans Georg Nägeli – ein Altersgenosse von Beethoven – "in den zwey letzten Takten so styllos unschließend, so abschnappend, daß der unbefangene Hörer nicht weiß, wie ihm geschieht". Und tatsächlich: Was wir heute als erfrischenden Überraschungseffekt empfinden mögen, war für Mozarts Zeitgenossen nichts anderes als irritierend.
Sinfonie Nr. 40 g-Moll KV 550
Wohl kein anderer Sinfoniebeginn Mozarts hat sich als so charakteristisch, so emblematisch in das kollektive Bewusstsein eingebrannt wie derjenige der g-Moll-Sinfonie. Erstaunlich ist dies in vielerlei Hinsicht – angefangen damit, dass die Moll-Melancholie, die diese Takte verströmen, auf den ersten Blick nicht für eine allgemeine Ergötzung prädestiniert zu sein scheinen. Und doch: Diese Musik schlägt unmittelbar in ihren Bann, wohl auch wegen ihrer latenten Vieldeutigkeit. Die Sinfonie Nr. 40 erscheint in ihrer ausgefeilten Gestalt so zwingend, dass das Prozesshafte der Entstehung kaum vorstellbar ist. Doch gerade diese Sinfonie gewährt uns einen Blick in Mozarts Werkstatt: Ursprünglich hat er die Holzbläser mit einer Flöte und je zwei Oboen und Fagotten besetzt. Dem Autograph beigefügt sind aber einige Seiten, auf denen er zwei Klarinetten ergänzt und den Bläsersatz dementsprechend modifiziert hat.
Mit der g-Moll-Sinfonie ist Mozart der seltene Fall geglückt, kompositorisch höchst anspruchsvoll zu schreiben – und zugleich im besten Sinne zu unterhalten. Das Erfolgsrezept lässt sich mit einem Wort fassen: Ausgewogenheit. Das ist nicht zu verstehen als flache Gleichmacherei, sondern im Gegenteil: Das Bestechende an dieser Sinfonie ist auch und gerade das Vielgestaltige, die immense Bandbreite an unterschiedlichsten Stimmungen und an belebenden Kontrasten. Mozart bietet dafür sein ganzes satztechnisches Können auf, stellt es aber nie zur Schau, sondern stets in den Dienst der überzeugenden Wirkung.
Sinfonie Nr. 41 C-Dur KV 551 "Jupiter"
Ist die g-Moll-Sinfonie der warmherzige Favorit unter Mozarts Sinfonien, folgt ihr mit der C-Dur-Sinfonie der freudestrahlende Heißsporn, der die Gemüter erhellt. Johann Peter Salomon, der als Impresario Haydns Londoner Erfolge ermöglichte, hatte für diese Sinfonie das passende Schlagwort parat: "Jupiter"-Sinfonie, nach der glorreichen obersten Gottheit im antiken Rom. Bedeutsam geht es im Forte mit drei Schlägen los, und direkt lässt Mozart einen zarten Piano-Kontrast folgen. Das ist quasi programmatisch für das gesamte Werk: Abwechslung auf allen Ebenen, zwischen laut und leise, Dur und Moll, feurig und entspannt.
Durch die Jahrhunderte galt die "Jupiter"-Sinfonie konstant als die "Krönung" von Mozarts Instrumentalmusik. Der gleichermaßen geniale Vokalkomponist vollzieht in diesem Werk im ersten Satz eine Synthese aus beiden Musikformen: Als zusätzlichen melodischen Gedanken nach den beiden Hauptthemen zitiert er die Bass-Arie "Un bacio di mano", die er einige Monate zuvor als Einlage für eine Oper von Pasquale Anfossi komponiert hatte. Im Schlusssatz dann präsentiert er sich in einer ausgedehnten Fuge als souveräner Walter der satztechnisch anspruchsvollsten Instrumentalform. Nur zu naheliegend, wie Mozart aufgrund dieses Wurfes einst getauft wurde: als "Jupiter der Musik".