Was sind Gründe für einen Kontaktabbruch mit der Familie?
Die Mutter ist zu dominant und bestimmt das Leben ihrer Kinder zu sehr - oder die Eltern akzeptieren die Homosexualität ihres Kindes nicht. Die Gründe, warum man den Kontakt zu seiner Familie abbricht, sind ganz unterschiedlich. Aber: "Es geht häufig um persönliche Verletzungen. Das Gefühl, niemals Wertschätzung zu bekommen für das, was man ist. Man hat das Gefühl, immer anders sein zu müssen, anders denken und handeln zu müssen, die Schuld für bestimmte Dinge zu bekommen, zu viel Verantwortung übernehmen zu müssen und trotzdem Kritik zu bekommen. Natürlich gibt es den emotionalen und körperlichen Missbrauch. Und es gibt auch Kontaktabbrüche, weil Eltern oder die Kinder süchtig oder psychisch krank sind", erklärt Familientherapeutin Lineke Visser.
Sich von seiner Familie zu trennen, sei aber keine impulsive Entscheidung, sagt Lineke Visser. Sie weiß aus ihrer therapeutischen Erfahrung, dass dahinter oft ein jahrelanger Prozess steht: "Meistens gibt es eine weitere große Verletzung, die dazu führt, dass es jetzt endlich reicht und dann wird der Entschluss gefasst - mit allen Konsequenzen." Es sei absolut ok, sich von seiner Familie zu trennen, wenn man das Gefühl habe, dass das der einzige Weg sei, um glücklich zu werden. Die Gründe dafür müssen nicht von anderen rational begriffen werden können. Man müsse dabei auf sein eigenes Gefühl hören, rät Lineke Visser.
Wie geht es den zurückbleibenden Familienmitgliedern?
Diejenigen, die den Kontakt abbrechen, fühlen sich meist erleichtert, diesen Schritt gegangen zu sein. Anders sieht es bei der Familie aus, die zurückbleibt. Wenn es keine Erklärung für den Schlussstrich gibt, hinterlässt das oft eine lebenslange Narbe. Denn der Kontakt wurde zwar abgebrochen, die familiäre Verbindung ist aber noch da. Wenn es keine Verabschiedung gibt und keine Erklärung für das Verhalten, kann die zurückgelassene Familie nicht mit der Situation abschließen.
"Ein Abbruch hat häufig schwere psychische Folgen wie Depressionen, Schlaflosigkeit oder Einsamkeit", erklärt Lineke Visser. Allerdings sollte man trotzdem nicht vor dem Schritt zurückschrecken, zum Beispiel, weil man das Gefühl hat, für jüngere Geschwister verantwortlich zu sein. "Wenn er/sie aus Verantwortung bliebe, würde diese Person sich selbst verlieren."
Eine Annäherung nach einem Kontaktabbruch sei aber möglich. Man muss diesen Schritt nicht als endgültig sehen, sagt Lineke Visser. "Eine Annäherung kann nur dann passieren, wenn beide Seiten in der Lage sind, sich selbst zu reflektieren. Wenn beide bereit sind, das eigene Verhalten und die eigenen Überzeugungen neu zu überdenken und zu bewerten. Oft gehört das Respektieren von Unterschiedlichkeit dazu, genauso wie die Entscheidung, einen Haken hinter bestimmte Ereignisse aus der Vergangenheit zu setzen."
Wo findet ihr Hilfe, um den Kontaktabbruch zu verarbeiten?
Eine therapeutische Begleitung sei nicht imer nötig, um den Kontaktabbruch mit seiner Familie zu verarbeiten, schätzt Lineke Visser. Das sei sehr individuell, je nachdem, wie belastend die Situation für einen selbst ist. Wenn ihr aber in einer ähnlichen Situation seid, findet ihr zum Beispiel beim Verband "Der Paritätische NRW" ein großes Netzwerk an Selbsthilfegruppen. Auch in Bonn gibt es zum Beispiel eine Selbsthilfegruppe, die euch hilft, den Kontaktabbruch zu verarbeiten.
Psychologische Beratung bekommt ihr zum Beispiel bei "Pro Psychotherapie e.V.". Hier können sich Betroffene professionelle Hilfe suchen und sich beraten lassen, welche Therapieform wohl die richtige ist. Da findet man sowohl Anlaufstellen für Familientherapien, als auch Therapeuten, die z.B. Kontaktabbrechern helfen, die Vergangenheit zu verarbeiten.
Verlassene Familienmitglieder finden unter anderem beim Netzwerk "Verlassene Eltern" Unterstützung. Auch "ProFamilia" bietet Beratung zum Kontaktabbruch in der Familie an.