1LIVE: Wir starten direkt mit der ersten Frage der 1LIVE-Hörer. Jonas aus Köln fragt: 'Mich würde interessieren, warum die Polizei in der Nacht oder auch in den darauffolgenden Tagen so viele Tatsachen nicht ausgesprochen hat, sondern vertuscht hat. Zum Beispiel die Herkunft der Täter, über deren Asylstatus – wenn es sich um Asylbewerber gehandelt hat oder auch alle anderen Sachen.'
Hannelore Kraft: Ich nutze die Gelegenheit, um ein paar Dinge klarzustellen. Erstens: Wann redet man von Tätern? Es sind auf dem Platz zunächst mal die Situation nicht richtig eingeschätzt worden. Das steht außer Frage, das ist auch den Berichten zu entnehmen. Und die Frage war dann: Wer ist überprüft worden auf dem Platz und wegen welcher Delikte? Und dort wurde auch deutlich gesagt, wo diese Menschen herkamen, die überprüft worden sind. Ob das die Täter sind, die auch die Sexualdelikte vorgenommen haben, das ist ja noch gar nicht geklärt. Es ist immer einfach, die andere Seite zu bedienen, aber ich muss über Sachgrundlagen informieren und auch die Regierung kann sich nicht auf Hörensagen verlassen, sondern muss sehr genau auf die Details schauen.
1LIVE: Aber es macht natürlich komisches Gefühl in der Bevölkerung, wenn der Eindruck entsteht: Da sind Informationen zurückgehalten worden, die natürlich nicht hundertprozentige Tatsachen sind. Die Aufgabe der Politik ist auch alles andere als zu spekulieren. Aber wenn man von Polizisten unter der Hand Informationen durchgestochen bekommt, lässt das einfach ein komisches Sicherheitsgefühl bei einem zurück. Können Sie das zumindest verstehen?
Hannelore Kraft: Ich würde verstehen, wenn es so wäre. Nur ich sage noch mal: Bereits in der Pressekonferenz am Montag, am 4. Januar, hat der Polizeipräsident sehr deutlich etwas gesagt über die Herkunft derjenigen, die dort auf dem Platz kontrolliert worden sind.
1LIVE: Er hätte aber schon viel mehr sagen können.
Hannelore Kraft: Er hätte nicht mehr sagen könne, weil ihm die Unterscheidung wichtig ist zwischen denen, die überprüft werden und denen, die Täter sind. Auch da müssen wir sauber bleiben. Es gibt keine Verschleierung von Herkünften von Tätern in Nordrhein-Westfalen. Das ist mir ganz wichtig.
1LIVE: Ich finde das jetzt sehr wichtig und richtig, dass wir uns hier gerade annähern, zwischen Tatsachen und Spekulationen zu unterscheiden – sowohl wir Journalisten als auch sie als Politikerin. Aber ich merkte doch eins: Man muss auch vielleicht zwischen Kopf und Bauch unterscheiden. Das, was man in der Bevölkerung gerade merkt, ist, dass die Menschen Angst haben. Die fangen an, sich mit Pfefferspray auszustatten, womöglich sogar mit Schreckschusspistolen und viele fragen sich so was wie Eve:
Eve aus Köln: Ich würde gerne wissen, wie man dem Ganzen in Zukunft aus dem Weg gehen kann. Wie kann man verhindern, dass sowas noch mal geschieht?
1LIVE: Und dann natürlich die Anschlussfrage, wo wir beim Bauchgefühl sind: Kann die Polizei Bürger NRWs und Deutschlands noch vernünftig schützen?
Hannelore Kraft: Ganz klares Ja! Es gab in der Einsatznacht in Köln konkrete Fehler, die auch auf den Tisch gelegt worden sind und dafür wurden auch Menschen zur Verantwortung gezogen.
Marco aus Iserlohn: Wie möchte die Politik in Zukunft mit kriminellen Flüchtlingen umgehen?
Hannelore Kraft: Mir ist zunächst mal egal, woher ein Krimineller kommt – ob er Flüchtling ist oder nicht. Kriminell ist kriminell! Und dann laufen die Ermittlungsverfahren. Dann geht das in die Hände der Justiz und dann wird geurteilt. Die Frage ist: Was passiert mit dem Aufenthaltsstatus und wie schnell kann man jemanden abschieben. Da gibt es bestimmte Regeln, die juristisch vorgeschrieben sind, wo im Augenblick auch bundesweit diskutiert wird, ob man die verschärfen muss, weil das Strafmaß im Grunde bestimmt, ob jemand dann direkt abgeschoben werden kann oder nicht. Es macht keinen Sinn, jemanden abzuschieben, der beispielsweisen einen Ladendiebstahl kleinerer Größenordnung durchgeführt hat. Da muss man genau hinschauen. Diese Diskussion läuft im Augenblick.
1LIVE: Wenn wir zum Thema Abschiebungen kommen, dann wird dem Land NRW vorgeworfen, es würde nicht rasch oder konsequent genug abschieben.
Hannelore Kraft: Wir haben mit Abstand die meisten Abschiebungen.
1LIVE: Weil wir auch die meisten Flüchtlinge haben.
Hannelore Kraft: Wir sind schon das größte Bundesland und haben auch die meisten Flüchtlinge. Wir haben aber auch die allergrößte Zahl an freiwilligen Rückkehrern. Und die tauchen in den Statistiken leider überhaupt nicht auf. Insofern ist es wichtig, immer beides zusammen zu sehen. Und unser Problem ist, dass wir diejenigen, die wir eigentlich nach der Gesetzeslage abschieben können, faktisch nicht abschieben können, weil es Hindernisse gibt - beispielsweise bei denen aus Marokko und Algerien -, über die wir ja in Köln auch mehrheitlich diskutiert haben. Wir haben keine Vereinbarung mit diesen Ländern, dass sie sie auch definitiv zurücknehmen und dann können wir sie nicht in den Flieger setzen. Hier ist die Bundesregierung gefordert, das auch entsprechend durchzusetzen.
1LIVE: Die Bundesregierung hat ja auch gerade was anderes durchgesetzt. Es wird endlich eine gemeinsame Datenbank geben, auf die alle Bundesländer zugreifen können. In der sind dann Infos wie Fingerabdrücke und auch Vorstrafen von allen Neuankömmlingen in Deutschland gespeichert. Dass es sowas bisher gar nicht gab, ist ja auch nur einer der Gründe dafür. Viele denken, dass die Politik eigentlich völlig von dieser Flüchtlingswelle überrascht wurde und man eigentlich den Eindruck hat, dass die Politiker zum Teil überfordert sind.
Hannelore Kraft: Wenn ich es richtig weiß, haben wir im letzten Jahr so viele Flüchtlinge gehabt wie in den ganzen 15 Jahren zuvor zusammen. Und ganz offen, wir sind da an die Grenzen gekommen. Wir haben gesehen, dass unsere Strukturen darauf nicht ausgerichtet sind und es gab viele Sitzungen zwischen Bund, Ländern und Kommunen, um zu sehen, was wir jetzt tun müssen und wieder Ordnung in die Verfahren zu bringen. Ein ganz wichtiger Schritt ist dabei eben die erwähnte gemeinsame Datenbank. Das bedeutet nämlich auch, dass es auch darum geht, von Menschen Fingerabdrücke zu nehmen und zwar sehr schnell, damit wir wissen, wer in diesem Land ist.
Nelaf aus Syrien, die in Iserlohn wohnt: Es gibt so viele Flüchtlinge momentan in Deutschland. Wie kann man die alle integrieren?
Hannelore Kraft: Wir haben im letzten Jahr die Unterbringung und Versorgung in den Mittelpunkt gestellt, aber die eigentliche Aufgabe liegt vor uns und das ist die Integration. Darauf haben wir ja auch frühzeitig hingewiesen und haben auch in NRW das Richtige auf den Weg gebracht, wir haben nämlich 3.900 neue Lehrerstellen auf den Weg gebracht. Wir haben Kitaplätze auf den Weg gebracht, die Schulsozialarbeit ausgeweitet, den Ganztag ausgeweitet. Und wir haben auch Stellen bei Polizei und Justiz nach oben gefahren. Auch das war wichtig in diesem Zusammenhang: Wenn mehr Bürger kommen, kommen potentiell auch mehr Bürger, die sich nicht rechtstreu verhalten.
1LIVE: Helfen ein Prozent mehr Polizisten in NRW?
Hannelore Kraft: Es geht nicht um ein Prozent, sondern wir müssen ja Polizisten ausbilden. Die wachsen ja nicht auf den Bäumen. Wir haben die Situation, dass wir 2010 die Regierung übernommen haben. Da waren die Einstellungen bei 1.100, in der Vorgängerregierung. Sukzessive sind wir inzwischen bei 1.900 Einstellungen pro Jahr und jetzt haben wir noch einmal im Sofortmaßnahmenkatalog dargestellt, wie wir noch einmal schnell 500 zusätzlich auf die Straße bringen wollen. Ich weiß, dass das Sicherheitsempfinden der Bürger gestört ist nach Köln. Das kann ich gut nachvollziehen. Sie haben ja vorhin auch das Bauchgefühl angesprochen. Umso wichtiger ist, dass wir an den Kriminalitätsschwerpunkten nun auch klar Flagge zeigen.
1LIVE: Jetzt ist es das eine, da bürokratisch ranzugehen und über Eingrenzung der Straftaten und womöglich sogar eine Deckelung der Einwanderung zu diskutieren. Aber das andere ist ja die wirkliche Integration und da sind wir schon wieder fast beim Bauchgefühl. Das ist ja auch was Mitmenschliches, was da passiert. Wie ernst nimmt das eigentlich die Politik, auch da was zu tun, dass Deutsche, Zuwanderer und Flüchtlinge es schaffen, gemeinsam in Deutschland zu leben?
Hannelore Kraft: Ich hab ja vorhin die Maßnahmen jetzt mal bei Stellen und Personal dargestellt. Aber noch viel wichtiger ist, dass NRW das einzige Bundesland ist, das flächendeckend eine Struktur von kommunalen Integrationszentren aufgebaut hat. Dort sind viele Mitarbeiter vor Ort, die genau diese Aufgabe jetzt koordinieren und in Angriff nehmen und die wir auch bei der Wertevermittlung einsetzen müssen. Das ist ein ganz zentrales Thema. Da haben wir uns auch nie was vorgemacht. Da müssen wir ran. Die Materialien sind auch schon entwickelt, sodass wir, wie ich glaube, mit diesen Integrationsmaßnahmen ein Stück vorankommen. Aber auch die beste Integration gelingt nur, wenn auch die Sprachkenntnisse vorhanden sind, deshalb haben wir hier in NRW auch noch mal zusätzlich was draufgelegt. Und die beste Integration gelingt natürlich über Kita, Schule und den Arbeitsmarkt. Und hier sind wir in NRW vorbildlich unterwegs. Und bitte genau hinschauen bei den Informationen. Es ist so viel Unsinn unterwegs in der Landschaft, was als Information hingestellt wird. Da sind wir jetzt alle gefordert: Sicherzustellen, dass wir hier über die richtigen Daten und Fakten reden!