Um seine Geschichte zu erzählen, geht Apsilon in der Geschichte seiner Familie mehr als 50 Jahre zurück. Er beginnt bei seinen Großeltern, die in den 70ern als sogenannte Gastarbeiter*innen aus der Türkei nach Deutschland kamen. Er berichtet von den Träumen und Hoffnungen, die sie mitbrachten – und von der harten, arbeitsreichen Realität, die ihnen begegnete. Von dort aus führt er den Erzählbogen über das Leben seiner Eltern in Berlin, die erst später nachgeholt wurden, bis zu sich selbst und findet eine Art von bitterem Frieden mit dem Geschehenen.
"Ist schon alles, wie es sein soll", fasst er auf dem melodiösen "Outro" zusammen und klingt dabei stolz und resigniert zugleich. Damit begibt sich Apsilon in die Fußstapfen von Pionieren des deutschen Rap: So wie er hat seit Advanced Chemistry niemand mehr die Geschichte der sogenannten Gastarbeiter erzählt und greifbar gemacht. Eine Geschichtsstunde, die angesichts des immer stärker werdenden Rechtsrucks in Deutschland nicht wichtiger sein könnte.
"Mein Baba hat einen starken Rücken"
Zentral für das gesamte Album ist der Song "Baba", der knapp ein Jahr vor Erscheinen von "Haut wie Pelz" released wurde und für viel Aufmerksamkeit sorgte. Der Song ist für Apsilon rückblickend auch eine Art Befreiungsschlag – weil er ihm aufzeigte, über was er alles rappen und singen kann: "Ich glaube, der hat mir einfach Mut und Selbstvertrauen gegeben in das, worüber ich schreiben kann", erzählt er im Interview.
"Davor ging es viel über eine rassistische, kapitalistische Gesellschaft und war emotional sehr begrenzt auf Wut und Frust. Da war nicht so viel Vulnerabilität, Schwäche, gab keine große Bandbreite von Emotionen. Und durch Baba habe ich, glaube ich, den Mut bekommen, auch das alles zu zeigen". Und so behandelt Apsilon im Subtext von Songs wie "Baba" auch transgenerationale Traumata und den Versuch, die unbewusste Weitergabe von Verletzungen der Vergangenheit zu durchbrechen.
Familie im Zentrum
Nicht nur in den Songs des Albums spielt Apsilons Familie eine zentrale Rolle, sondern auch bei der Entstehung: Apsilons jüngerer Bruder Arman zeichnet auf "Haut wie Pelz" als ausführender Produzent. Gemeinsam mit Producer Bazzazian, der in der Vergangenheit schon für Haftbefehl oder Ms. Platnum produziert hat, und mit dem Multiinstrumentalisten Ralph Heidel schafft Arman die komplexen Soundlandschaften für Apsilons Texte: Getragenen Balladen laufen neben übersteuert zerrendem Straßen-Rap, wabernde Klavierakkorde treffen auf wummernde Bässe. Eine wundervoll melancholisch-wütende Soundwelt, die das Spektrum von Apsilons Emotionen widerspiegelt.
Im Hier und Jetzt
Wie ein Chronist vertieft sich Apsilon in die Einwanderungsgeschichte seiner Großeltern und fühlt dabei nach, was sie erlebt haben. Über ihre Geschichte von Isolation und Ablehnung durch die deutsche Gesellschaft schlägt er den Bogen ins Jetzt, wenn er von der eigenen Beklemmung und Entfremdung in einem Heimatland rappt, das nach rechts driftet. Er rappt wütend über Polizisten, die Menschen nach ihrem Aussehen kategorisieren und über seine Freunde, die nach wie vor auf der Straße ihr Geld machen, weil abseits dessen die Perspektiven fehlen.
"BILD will uns von der Bildfläche / Passen nicht ins Bild / Wildfremd im Land" rappt Apsilon mit klarem Bezug zu Advanced Chemistry auf "Brustumfang". Auf Songs wie "So leicht" singt er aber auch von der Schwierigkeit, sich selbst zu lieben, wie man ist, wenn die Gesellschaft einen offenbar auch nicht liebt und erklärt, wozu das in der letzten Konsequenz führt: "Ich habe einen sehr liebenden Freundschaftskreis. Und auf der anderen Ebene dieses Gefühl, sich von der Gesellschaft nicht geliebt zu fühlen oder sich nicht am richtigen Ort oder nicht gewollt zu fühlen. Das ist, glaube ich, ein sehr rationales Gefühl in Deutschland als Ausländer oder Menschen mit ausländischen Wurzeln".
Durch diese Komplexität fasst Apsilon das Lebensgefühl vieler migrantisch geprägter Menschen in Deutschland zusammen: enttäuscht, verletzt, aber auch wütend und entschlossen, sich nicht unterzukriegen zu lassen. Genau das macht "Haut wie Pelz" zum wichtigsten deutschen Rap-Album des Jahres.
Antizyklisches Meisterwerk
Klar, "Haut wie Pelz" ist kein fröhliches und leichtes Album. Aber es ist auch kein trauriges, schweres. Die 14 Songs verlangen zwar beim Hören alle Aufmerksamkeit, die tiefgehenden Geschichten und Verweise lassen sich nicht Nebenbei aufnehmen. Somit ist das Album gewissermaßen antizyklisch in einer Zeit, in der gerade Rapsongs immer mehr auf Durchhörbarkeit hin gestaltet werden. Aber "Haut wie Pelz" lässt einen auch nicht bedrückt zurück, sondern steckt auch voller Momente des Stolzes, der Liebe, der Wärme und der Freundschaft. Der rote Faden ist eine bittersüße Melancholie: "Ich glaube daran, dass wir gemeinsam etwas daran verändern können, wie die Welt ist", sagt Apsilon. "Vielleicht kommt es auch von meinen türkischen Roots, weil da auch immer so sehr viel Melancholie mit drin ist, was aber gar nichts Runterziehendes haben muss – sondern auch etwas Schönes sein kann".