Feven Yoseph hat eine außergewöhnlich schöne, soulige Stimme, ihr Gesang geht unter die Haut, auch wenn man kein Wort versteht. Die 34jährige ist in der nördlichen Amhara-Region Äthiopiens geboren und singt auf Amharisch, einer sehr alten, rhythmischen und melodischen Sprache, die eine Art Klick-Laute hat und auf einem eigenen Alphabet basiert. Von Kind an war sie von traditioneller amharischer Musik und den Gesängen der äthiopisch-orthodoxen Kirche umgeben und entdeckte schon als Teenager ihre Lust am Singen. In Addis Abeba besuchte sie die Yesus School of Jazz Music und fing dort schon bald an selbst Gesangsunterricht zu geben. Yoseph wurde so zur ersten Gesangsdozentin Äthiopiens und baute die erste Gesangsklasse an ihrer Musikschule auf. 2018 kam sie nach Berlin, um an der Hochschule der populären Künste Musik und Gesang zu studieren. Heute lebt sie zwischen Berlin und Addis Abeba und gibt ihre Gesangskurse online.
Die Zeit
Nach einem eher jazzigen Debutalbum, das Yoseph mit äthiopischen Jazzern aufgenommen hat, legt sie nun mit « Gize », sechs Jahre später Album Nummer 2 vor. "Gize" ist amharisch und bedeutet Zeit. Mit Uhrzeiten oder Datumsangaben hat das allerdings nichts zu tun. Die 34-Jährige hat sich schon als Kind mit Fragen nach der Unendlichkeit der Welt und der Zeit beschäftigt. Sehr poetisch beschreibt sie in ihren Songtexten wie die Zeit die Muster unseres Lebens webt und die Geschichte der Menschheit von Anfang an gewoben hat.
Dieses bittersüße Leben
Feven Yosephs Grundthema ist die Lebensreise der Menschen. Sie integriert im Amharischen weit verbreitete Metaphern in ihre Texte und erzählt von ihren eigenen Kämpfen, aber auch vom aktuellen Weltgeschehen. Es geht um die vielen Stimmen von Eltern, Freunden, Partnern aber auch Regierungen, die einem reinreden wollen, um Versuche und Irrtümer bei Lebensentscheidungen oder wieviel Kraft man braucht, wenn man die Realität sieht. In einem der Songs, den Yoseph aus der Prespektive eines Kindes geschrieben hat, geht es um die Bitteresche, einen Baum mit sehr bitteren Blättern, aber einer aus dem Stamm kommenden Flüssigkeit, die so ähnlich wie Honig schmeckt. Der Junge begreift, dass auch aus einem Unglück etwas Gutes entstehen kann. In einem anderen Song ist der Planet Erde ein großes Boot, in de malle Menschen zusammensitzen und der bewegte Ozean steht für das Leben und seine Auf und Abs. Es gibt jedoch nu rein Steuerrad und jeder möchte seine Richtung durchsetzen. Am Ende steht Yosephs Hoffnung wie ein gebet, dass ein starker Sturm alle dazu bringt sich zusammenzuraufen, um zu überleben.
Die Schönheit der äthiopischen Musik
Es ist schwierig die Musik von Feven Yoseph stilistisch und geografisch einzuordnen, denn äthiopische Musik basiert, anders als die meiste Musik, nicht auf einer Dur-Tonleiter, die 7 Töne hat, sondern auf einer Fünftonskala. Das verbreitet eine besondere Stimmung durch Melodiefolgen und Rhythmen, die für unsere Ohren ungewohnt, aber faszinierend klingen. Ihre deutschen Mitmusiker an Keyboard, Gitarren, Drums, Perkussion, Kontrabass und E-Bass musste sie deshalb erst einmal mit den Besonderheiten der äthiopischen Musik vertraut machen. Als das geschafft war und die Band anfing die Musik zu verstehen und zu mögen, konnten sie die Rhythmen- und Melodien-Ideen, mit denen Yoseph ankam, auch für ihre Instrumente transkribieren. Ungewöhnlich wie Feven Yoseph und ihre Band die Zutaten mischen. Im Zentrum Yosephs souliger, oft spiritueller Gesang, manchmal verstärkt durch Backgroundchöre oder unterbrochen von längeren Instrumentalparts. Ihre Gesangsmelismen treffen auf Einflüsse, die sie aus ihrem Jazzstudium in Addis Abeba mitbringt, auf R’n’B, globalen Pop, Reggae, Tuareg-Rhythmen und mehr.
Äthiopische Musik hat nie einen internationalen Boom gehabt, wie beispielsweise die Musik Westafrikas oder des Balkans. Das will Feven Yoseph ändern und mit dem Album "Gize" hat sie schon einen großen Schritt in diese Richtung getan.