Die "Frau-Leben-Freiheit"-Bewegung geht vielen in der deutsch-iranischen Community unter die Haut, im wahrsten Sinne des Wortes: "Meine Tante hat sich inzwischen 'Jin, Jiyan, Azadi' auf den Arm tätowiert, und ich habe eine so richtig persische Tante, die hat mit Tattoos nichts am Hut."Comedian Enissa Amani erzählt von ihrer Tante in Hannover, die seit einem Jahr an Wochenenden immer wieder zu Soli-Demos für Iran fährt. Es sind mittlerweile kleinere Demos, nicht mehr 80.000 Menschen an der Siegessäule in Berlin, wie im Oktober 2022. Aber ganz ermüdet ist der Protest für Enissa dennoch nicht.
Für Politologe Ali Fathollah-Nejad ist klar, dass die revolutionäre Bewegung in Iran nicht erst der gewaltvollen Festnahme und dem Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini begonnen hat. Die Dimension der darauf folgenden Proteste war in der Islamischen Republik zwar einmalig. Dennoch beobachtet Fathollah-Nejad schon seit 2018 den Beginn eines revolutionären Prozesses. Vereinzelt haben seitdem Frauen in der Öffentlichkeit ihr Kopftuch als politisches Signal abgenommen. "Es gab 2019 durch Benzinpreis-Erhöhungen Proteste, die brutal niedergeschlagen wurden. Wir haben davon nur medial wenig in Deutschland mitbekommen“, sagt Ali Fathollah-Nejad.
Durch die "Frau-Leben-Freiheit"-Bewegung ist der Bruch zwischen Regime und iranischer Bevölkerung jetzt noch offensichtlicher geworden. In den Metropolen tragen viele Frauen kein Kopftuch mehr und riskieren hart bestraft zu werden. Enissa bewundert diese Haltung, auch dass sich immer wieder Menschen in Iran laut das Regime kritisieren:
Die deutsche Regierung sollte sich da auch stärker gegenüber dem Regime positionieren, fordern beide. "Wir sehen sehr viel mehr Kontinuität, als Wandel", beschreibt Ali Fathollah-Nejad,
Enissa Amani ist bekannt als eine der politischsten Comedians in Deutschland. Weil ihre Eltern Sozialisten waren, mussten sie mit damals 4-Jährigen Enissa aus Iran fliehen. Diese Erfahrung hat sie früh in ihrem Bühnenprogramm thematisiert und auch immer wieder öffentlich das Regime in Iran kritisiert. Gleichzeitig ist es ihr ein Anliegen, dass der Kampf gegen das Zwangskopftuch im Zuge der #IranRevolution nicht anti-islamisch ausgelegt wird.
Politologe Ali Fathollah-Nejad beschäftigt sich seit zwanzig Jahren mit innen- und außenpolitischen Entwicklungen im Iran. Schon vier Jahre vor der "Frau-Leben-Freiheit"-Bewegung hat er eine neue Phase des Widerstandes im Land beobachtet. Nachdem Fathollah-Nejad bisher den Schwerpunkt auf Forschung und Lehre hatte, u.a. in London, Harvard und Berlin, hat er 2023 die Polit-Beratung "Center for Middle East Studies" gegründet.