Auf dem Grabstein von Jina Mahsa Amini steht: „Liebe Jina, du stirbst nicht. Dein Name wird ein Symbol werden.“ So ist es auch gekommen. Nach dem Tod der 22-jährigen durch die Gewalt der Sittenpolizei, beginnen die landesweiten Proteste am Tag ihrer Beerdigung. Das Regime geht nicht nur hart gegen die demonstrierenden Menschen vor, sondern auch gegen die trauernden Familien. Sie trauern um ihre Kinder und Familienmitglieder, die während der Proteste von Regime-Milizen ermordet wurden. Trauern und Gedenken wird auf diese Weise politisch.
Seit 25 Jahren erinnert die renommierte deutsch-iranische Künstlerin Parastou Forouhar an den Mord an ihren Eltern. Parvaneh und Dariush Forouhar waren einflussreiche politische Oppositionelle, die im Auftrag des iranischen Regimes in ihrem Haus in Teheran ermordet wurden. Der Beginn einer Serie von politischen Morden in Iran, die als Kettenmorde bekannt wurden. Im Gespräch mit Autor Max Czollek geht Parastou Forouhar darauf ein, wie sehr die Erinnerungsarbeit auch eine Verantwortung der Lebenden ist.
Erinnerungskultur ist auch in Deutschland kritisch zu sehen, ergänzt Max Czollek. Auch hier ist eine Frage, wer welche Geschichte auf welche Weise erinnern darf und den Raum dafür zugesprochen bekommt. Wichtig sei, sich zu solidarisieren, auch in der Trauerarbeit. Denn es sei genug Trauer für alle da.
Parastou Forouhar erinnert nicht nur in ihrer Kunst sondern auch vor Ort in Iran jedes Jahr an den politischen Mord an ihren Eltern am 22. November 1998. Beide waren bekannte politische Oppositionelle, die schon in den 90er Jahren nicht mehr an die Reformierbarkeit des Regimes glaubten. Parvaneh Forouhar hat schon bei der Einführung den Schleierzwang kritisiert, während Dariush Forouhar nach der Islamischen Revolution sechs Monate als Arbeitsminister fungierte, bevor er enttäuscht von der Brutalität des Regimes zurücktrat. Das Haus der Forouhars in Teheran, in dem sie ermordet wurden, hat ihre Tochter Parastou zu einer Gedenkstätte gemacht. Auch wenn das Regime ihre Erinnerungsarbeit immer wieder bedroht und zu zerstören versucht.
Max Czollek hat im Rahmen eines Lyrik-Austausches den Iran 2017 bereist. Die Angst als jüdischer Dichter in das "Atombombenland" zu reisen wurde ihm dabei schnell genommen. Die Offenheit der Menschen und ihre Liebe zur Lyrik hat ihn berührt, sie entschuldigten sich für die Politik ihres Landes. In Bezug auf Erinnerungskultur sagt Czollek, dass jeder Nationalstaat Erinnerungen und Geschichten in den Vordergrund rücken würde, die den eignen Interessen dienen. Auch in Deutschland. Ein wesentlicher Unterschied im Umgang mit Gewaltgeschichte sei, ob man sie als Anlass nehmen würde zur Selbstkritik, oder ob man sie als abgeschlossene Erinnerung abtue. Wichtig sei, sich immer wieder die Frage zu stellen: "Wie viel haben wir damit noch zu tun?"