Die Täter verschwinden in der Silvesternacht in der Menschenmasse, die Polizei erweckt einen machtlosen Eindruck: Nach den massiven Übergriffen auf dutzende Frauen in Köln sind viele Fragen unbeantwortet. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat am Dienstagabend (05.01.2016) die Polizeiarbeit in Köln kritisiert: "Es kann ja nicht sein, das Folgendes passiert: Hier wird der Vorplatz geräumt und später finden diese Ereignisse statt und man wartet auf Anzeigen. So kann Polizei nicht arbeiten."
WDR 5: Herr Albers, was sagen Sie zur Kritik des Bundesinnenministers?
Wolfgang Albers: Die Frage, die der Bundesinnenminister gestellt hat, haben wir uns natürlich auch gefragt. Und ich will noch einmal deutlich machen: Wir haben, das sagt der Bundesinnenminister ja auch, als es vor der Jahreswende zu einer kritischen Situation kam, den ganzen Vorplatz des Bahnhofes sowie die Treppe, die zum Dom hochführt, geräumt. Wir haben dann nach der Jahreswende den Bahnhof wieder freigegeben, damit die Bürgerinnen und Bürger nach Hause fahren können, denn viele wollten nach der Jahreswende dann natürlich nach Hause fahren.
Dann ist es zu der Situation gekommen, dass dort Frauen belästigt worden sind, angegangen worden sind. Als das der zuständige Polizeiführer, also derjenige, der vor Ort verantwortlich war, mitbekommen hat, hat er sofort alle Kräfte zusammengezogen und hat dort sowohl Frauen auf die Situation hingewiesen, sie in den Bahnhof begleitet. Das heißt, dass wir auf Anzeigen gewartet haben, ist überhaupt gar nicht so.
WDR 5: Aber Moment. Wir haben auch von Frauen gehört, dass Polizisten gesagt haben sollen: Bringen Sie sich am besten in Sicherheit. Abgesehen davon waren 70 Bundespolizisten am Bahnhof, 150 Kölner Beamte rund um den Bahnhof. Wie kann es trotz einer relativ so hohen Polizeipräsenz überhaupt zu so vielen Straftaten kommen? Sie haben jetzt 90 Anzeigen.
Wolfgang Albers: Wir haben 90 Anzeigen, darunter sind zwei Anzeigen, in denen ein Tatbestand der Vergewaltigung angezeigt worden ist. Sie sagen, wir haben auch 70 Beamte im Bahnhof gehabt. Wir haben mit der Bundespolizei eng zusammen gearbeitet, und es hat in dieser Schnittstelle zwischen Bahnhof und Bahnhofsvorplatz immer wieder Straftaten gegeben. Das ist so entstanden, und das haben mir die Zuständigen, die vor Ort waren, auch so geschildert, es war eine große Menschenmenge dort. Und in dieser Menschenmenge sind die Straftaten begangen worden. Das ist natürlich so, wenn Sie an dem Ort sind, Sie vor Köpfe und Rücken gucken. Deshalb haben teilweise auch die Menschen, die Betroffenen, die Opfer keine Polizei wahrgenommen. Wir waren aber mit starken Polizeikräften dort und haben auch den Opfern, soweit wir dieses erkannt haben, geholfen. Und das ist glaube ich auch eine wichtige Aussage dazu.
WDR 5: Wie viele Täter haben Sie gefasst, Herr Albers?
Wolfgang Albers: Wir haben derzeit keine Tatverdächtigen gefasst. Das liegt wahrscheinlich auch daran, aber das ist überhaupt gar kein Vorwurf, dass wir von den gravierenden Straftaten erst am nächsten Morgen erfahren haben.
WDR 5: Wie kann das sein, wenn ich Sie unterbrechen darf. Wie kann das sein, dass Sie erst am nächsten Morgen von diesen gravierenden Straftaten gehört haben, wenn doch so viele Polizisten, wie Sie selber sagten, vor Ort waren? Das kann man kaum verstehen, wenn man Ihre Erklärungsversuche hört.
Wolfgang Albers: Ja. Das liegt unter anderem daran, dass viele Betroffene nach der Situation auch Köln verlassen haben. Zwei Drittel kommen aus dem Kölner Umfeld und nicht aus Köln. Und die haben sich am nächsten Morgen an die Wache gewandt, haben dort Aussagen gemacht und dann war uns auch der volle Umfang dieser Straftaten bewusst. Es hat, das will ich gar nicht verhehlen, es hat auch abends schon Meldungen gegeben, dass dort Frauen angegangen worden sind, und daraufhin haben wir, wie ich eben geschildert habe, auch reagiert.
WDR 5: Was ist bisher über die Täter bekannt?
Wolfgang Albers: Wir haben im Moment keinen Tatverdächtigen, das will ich deutlich machen. Wir haben nur Aussagen der Beamten, die dort vor Ort waren, und wir haben Aussagen der Opfer. Und die Aussagen zielen darauf: Es handelte sich um eine große Gruppe junger Männer zwischen 18 und 35 Jahren. Vom Augenschein her kamen sie aus Nordafrika und dem arabischen Raum. Die Opfer beschreiben es so, als hätten die Täter eine Sprache gesprochen, die sie nicht kannten.
Ich halte mich zurück damit, jetzt zu verifizieren, wer Täter womöglich sind. Ich möchte mich an Spekulationen nicht beteiligen. Ich möchte mich auch gerade jetzt in der schwierigen politischen Situation an Fakten halten. Und im Moment haben wir keine Tatverdächtigen.
WDR 5: Dann ist es natürlich gerade schwer, darüber tatsächlich fundiert diskutieren zu können.
Wolfgang Albers: Das ist richtig.
WDR 5: Wenn Sie keine richtig qualifizierten Aussagen haben. Wenn, was ich immer noch nicht ganz verstehe, Herr Albers, kein einziger Tatverdächtiger festgenommen werden konnte.
Wolfgang Albers: Wir haben ja die Opfer befragt. Und die Opfer sagen uns, sie können auch keinen mehr erkennen. Das verstehe ich auch. Die Frauen waren in einer ganz schwierigen Situation: Die haben Angst gehabt, die wollten weg und haben sich natürlich keine Gesichter gemerkt.
WDR 5: Verständnis für die Frauen habe ich auch, Herr Albers. Ich bin noch einmal bei der Polizei. Wenn über hundert Polizisten dort waren und tatsächlich über 90 Anzeigen jetzt da sind, Sie reden selber von zwei Vergewaltigungen, die stattgefunden haben. Der Kölner Hauptbahnhof und die Umgebung, das ist nicht ein riesiges Arsenal. Dass nicht eine einzige Tat tatsächlich von einem Polizisten verfolgt und der Täter festgenommen wurde, ist mir wirklich unbegreiflich. Auch wenn man diesen engen Raum ja kennt. Und wenn ich mir vorstelle, da sind fast mit der Bundespolizei zusammen 200 Polizisten – und nichts, gar nichts.
Wolfgang Albers: Wir haben an dem Tag auch Festnahmen gehabt. Die bezogen sich aber, soweit ich weiß, nicht auf Sexualstraftaten. Natürlich haben wir an dem Abend Festnahmen gehabt, wir haben in Gewahrsamnahmen gehabt. Aber wir müssen ganz konkret jemandem diese Tat nachweisen. Das heißt, ich muss nachweisen, dass jemand zugegriffen hat, eine Frau angegangen ist, und das ist in den Beschreibungen häufig in der Menge gewesen. Das wird auch ganz schwierig sein, das will ich überhaupt nicht verhehlen, in einer solchen Enge, einer solchen tumulthaften Lage – was heißt tumulthaft, in einer Enge, wo ganz, ganz viele Menschen waren, die sich drängen.
Ich weiß nicht, ob Sie einmal nachts um eins am Hauptbahnhof waren, wenn eine große Veranstaltung war, da sind ganz, ganz viele Menschen, die drängen da rein. Und diese Situation ist von den Straftätern genutzt worden, um diese widerlichen Straftaten zu begehen.
WDR 5: Noch eines zum Schluss: Bei dem Krisentreffen gestern in Köln, das wurde vor allem vom Bund der Kriminalbeamten kritisiert, da war die Justiz nicht dabei. Es geht darum, Köln für Straftäter unattraktiv zu machen. Und auch die Frage, wie können wir sie mit härteren Strafen tatsächlich auch abschrecken.
Wolfgang Albers: Wir haben, was die Gruppe der Straftäter, Nordafrikaner angeht, haben wir diese Gruppe gerade im Zusammenhang mit Taschendiebstahl schon im Auge. Wir haben eine Dienststelle, die sich intensiv um das Thema kümmert. Ich glaube, Köln ist die einzige Behörde, die eine solche Dienststelle hat. Wir haben im letzten Jahr über 450 Tatverdächtige, Straftäter aus der Gruppe alleine wegen Taschendiebstahl gehabt. Und die führen wir natürlich auch alle der Justiz vor. Da kommt es auch zu Verurteilungen.
Ich möchte ganz deutlich sagen: Es ist nicht meine Aufgabe, Richterschelte zu betreiben. Das will ich auch nicht. Die Richterschaft ist unabhängig. Ich weiß aber, dass innerhalb dieser Tätergruppe, das wissen wir auch aus Telefonaten, Köln als ein Pflaster bekannt ist, wo nicht maßlos bestraft wird. Aber es ist nicht meine Aufgabe, das zu machen. Darüber muss es eine gesellschaftliche Diskussion geben. Und das ist auch sinnvoll. Wir werden uns im Februar zum Gesamtthema in einer Sicherheitskonferenz zusammensetzen mit den Städten, der Staatsanwaltschaft und auch den Gerichten. Und da werden wir uns über das Thema mit Sicherheit unterhalten.
WDR 5: Herr Albers, noch eine persönliche Frage zum Schluss: Bleiben Sie Polizeipräsident Kölns?
Wolfgang Albers: Aber natürlich. Gerade jetzt bin ich glaube ich hier gefragt. Wir haben den Karneval vor uns, wir haben Weiberfastnacht vor uns. Und ich kann Ihnen sagen, das ist eine schwierige Situation in Köln. Wir werden uns gut aufstellen und da bin ich auch gefordert. Deshalb mache ich das hier in Köln. Ich bin hier bei meiner Kölner Polizei.
Das Interview führte Judith Schulte-Loh am 06.01.2016 im WDR 5 Morgenecho. Für eine bessere Rezeption weicht die schriftliche Fassung des Interviews an einigen Stellen vom gesendeten Interview ab. Die intendierte Ausrichtung der Fragen und Antworten bleibt dabei unberührt.