"Wir müssen wieder streiten lernen", so hört man oft. Denn vielfach wirkt das große Streiten im Moment ja nicht eben produktiv. Dabei gehört der Streit ja dazu in einer Demokratie, oder? "Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine", so hat es Helmut Schmidt formuliert. Da schwingt mit, dass sich, wer streitet, mit Andersdenkenden auseinandersetzt und die Fahne der Meinungsfreiheit hochhält. "Das ist alles nicht falsch und verfehlt doch das Spezifische des Phänomens", sagt die Philosophin Svenja Flaßpöhler.
Denn: "Streit ist nie harmlos. Die Abgrund der Vernichtung ist immer da." Die Unversöhnlichkeit schwingt mit. Der Andere ist – möglicherweise zumindest – einer, der als Feind betrachtet wird. Einer, der unüberbrückbar anders denkt. So sah es der Jurist und Philosoph Carl Schmitt. Das ist jedenfalls ein grundlegender Unterschied zur Idee (und Praxis) des politisch-gesellschaftlichen Diskurs, in dem die Positionen auf einer gemeinsamen Grundlage aufeinander treffen. Mit einem implementierten Konsens, wie es Jürgen Habermas in seiner Diskursethik formulierte.
Die Frage ist also tatsächlich: Unter welchen Umständen macht Streit Sinn; welche Gegebenheiten führen dazu, dass er destruktiv wird? Svenja Flaßpöhler sagt, dass sie es nicht akzeptieren wolle, dass die Welt in Freund und Feind auseinanderfällt. Sie plädiert für konstruktives Streiten – mit einem Gegenüber, nicht mit einem Feind: "Wer streitet, ist zur schlichten Akzeptanz ja gerade nicht bereit, sondern vielmehr getrieben vom Überzeugungswillen. Zu streiten heißt, ein Gegenüber nicht kalt als Feind abzustempeln, sondern die Mühen der Argumentation auf sich zu nehmen."
Brauchen wir mehr Streit oder weniger – oder anderen Streit? Was unterscheidet den Streit vom Diskurs? Wie streitlustig sind Sie?
Hörer:innen können mitdiskutieren unter 0800 5678 555 oder per Mail unter philo@wdr.de.
Redaktion: Gundi Große
Literaturhinweis: Svenja Flaßpöhler: Streiten. Verlag Hanser Berlin, 2024.