7. April 1922 - Die Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel wird geboren

Stand: 28.03.2022, 18:50 Uhr

Pionierin in einer Männerdomäne: Annemarie Schimmel muss sich ihren Platz als Islamwissenschaftlerin erkämpfen. Doch dann beschädigt die angesehene Professorin ihren Ruf.

Am 4. Mai 1995 wird der Orientalistin Annemarie Schimmel der "Friedenspreis des Deutschen Buchhandels" zugesprochen. Damit will sich der Börsenverein gegen Tendenzen wenden, die den Islam zum neuen Feindbild machen. Die Auszeichnung der 73-Jährigen sei "ein Zeichen für die Begegnung, nicht für die Konfrontation der Kulturen".

Annemarie Schimmel, Orientalistin (Geburtstag, 07.04.1922) WDR Zeitzeichen 07.04.2022 14:21 Min. Verfügbar bis 07.04.2099 WDR 5

Download

Doch noch am selben Tag löst ein Interview in den ARD-"Tagesthemen" einen Eklat aus. Schimmel distanziert sich darin zwar von islamistischem Terror und verurteilt Morddrohungen gegen Salman Rushdie. Gleichzeitig bezeichnet sie aber dessen "Satanische Verse" als "eine sehr üble Art, Gefühle einer großen Menge von Gläubigen zu verletzen".

"Sie dachte absolut nicht politisch"

Schimmel wird daraufhin vorgeworfen, sie verteidige die Fatwa, jenes islamische Rechtsgutachten von Ayatollah Khomeini, das Rushdies Roman als todeswürdiges Vergehen verurteilte. Sie relativiere die Menschenrechte und untergrabe das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Die Wissenschaftlerin beteuert, sie habe erklären, nicht entschuldigen wollen. Doch sie findet nur schwer die passenden Worte. "Sie dachte absolut nicht politisch", sagt später ihr Kollege Stefan Wild. "Ihr Anliegen war die Vermittlung." Sie habe sich lebenslang als Brückenbauerin zwischen den Kulturen verstanden.

Doktortitel mit 19

Geboren wird Annemarie Schimmel am 7. April 1922 in Erfurt. Der Vater ist Postbeamter, die Mutter stammt aus einer Seefahrerfamilie. Mit sieben liest Annemarie ein Märchen, das im Grenzgebiet zwischen Islam und Hinduismus spielt: "Da habe ich gewusst, das ist meine Welt!"

Mit 15 beginnt sie privat Arabisch zu lernen, im Jahr darauf macht sie Abitur. Sie studiert Arabistik und Islamwissenschaften in Berlin, wo sie mit 19 promoviert - mitten im Zweiten Weltkrieg. Nach Kriegsende wird die Familie nach Marburg evakuiert, wo sich die 23-Jährige im Januar 1946 habilitiert.

"Wenn Sie ein Mann wären"

Doch Schimmel erhält keine Stelle. An der Uni Bonn wird ihr gesagt: "Wenn Sie ein Mann wären, dann könnte aus Ihnen was werden in der Wissenschaft." Deshalb arbeitet sie in der Türkei - als erste nicht-muslimische Professorin an der islamisch-theologischen Fakultät in Ankara. Später lehrt sie 25 Jahre lang an der US-Universität Harvard.

Die Spezialistin für Islamische Mystik schreibt über 100 Bücher und Artikel. Ihr bekanntestes Werk sind die "Mystischen Dimensionen des Islam". Nach ihrer Emeritierung 1992 kehrt Annemarie Schimmel nach Deutschland zurück. Sie stirbt am 26. Januar 2003 in Bonn.

Autor des Hörfunkbeitrags: Marfa Heimbach
Redaktion: Matti Hesse

Programmtipps:

ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 7. April 2022 an Annemarie Schimmel. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.

ZeitZeichen am 08.04.2022: Vor 1.805 Jahren: Der römische Kaiser Caracalla wird ermordet