Schon mit zwölf Jahren träumt Regina Jonas davon, Rabbinerin zu werden. Später nennt sie dafür zwei Gründe: "mein Glaube an die göttliche Berufung und meine Liebe zu den Menschen". Regina, die am 3. August 1902 in Berlin geboren wird, wächst in einer jüdisch-orthodoxen Familie auf.
Doch die Umsetzung ihres Berufswunsches scheint zunächst undenkbar. Im Judentum gibt es patriarchale Traditionen. In den Synagogen sitzen die Frauen getrennt von den Männern, auch das Vorbeten ist ihnen verwehrt. Nach dem Ersten Weltkrieg werden die jüdischen Frauen jedoch selbstbewusster. Der jüdische Frauenbund wächst auf mehrere zehntausend Mitglieder an. Schließlich erhalten sie 1926 das Wahlrecht in ihren Gemeinden.
"Denkende und gewandte Predigerin"
Auch Regina Jonas geht ihren Weg. Nach dem Abitur studiert sie an der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Der Titel ihrer Abschlussarbeit lautet: "Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?" Darin setzt sie sich intensiv mit Texten im Talmud auseinander. Den verschiedenen frauenfeindlichen Stellen stellt sie frauenfreundliche Zitate gegenüber. Das Fazit der Arbeit ist eindeutig:
Die Arbeit wird zwar 1930 mit "gut" bewertet, aber ordiniert wird Regina Jonas nicht. Sie muss als Religionslehrerin arbeiten. Nebenbei hält sie Übungspredigten und wird von Oberrabbiner Leo Baeck dafür "als denkende und gewandte Predigerin" bezeichnet. 1935 schafft es Jonas dann doch, zu Rabbinerin erklärt zu werden - durch Max Dienemann, einem liberalen Juden in Offenbach.
In Theresienstadt gewirkt
Nach den Novemberpogromen 1938 überlegt Regina Jonas, nach Palästina zu fliehen. Doch sie bleibt in Deutschland und besucht die verbliebenen jüdischen Gemeinden. In Hamburg lernt sie den Rabbiner Josef Norden kennen, der 32 Jahre älter ist als sie. Die beiden werden ein Paar. Kurz darauf muss Jonas in einer Berliner Kartonage-Fabrik Zwangsarbeit leisten.
Die Liebenden bleiben per Brief in engem Kontakt. Zur Hochzeit kommt es allerdings nicht mehr. Josef Norden wird 1942 nach Theresienstadt deportiert. Wenig später wird auch Regina Jonas dorthin verschleppt. Sie wirkt zwei Jahre lang im Ghetto als Rabbinerin. Am 12. Oktober 1944 wird sie weiter nach Auschwitz transportiert und am Tag ihrer Ankunft ermordet.
Nach dem Krieg vergessen
Leo Baeck überlebt Theresienstadt. Doch Regina Jonas erwähnt er nie. Auch alle anderen, die sie kannten, sprechen nicht über sie. Die Rabbinerin gerät in Vergessenheit. Als 1972 Sally Priesand in der US-Stadt Cincinnati ordiniert wird, geht die jüdische Öffentlichkeit davon aus, sie sei die erste Rabbinerin. Niemand korrigiert diese Falschmeldung.
Erst nach der Wende findet die Theologin Katharina von Kellenbach in einem ostdeutschen Archiv den Nachlass von Regina Jonas. Heute ist sie in den jüdischen Gemeinden hoch angesehen.
Autor des Hörfunkbeitrags: Heiner Wember
Redaktion: Gesa Rünker
Programmtipps:
ZeitZeichen auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 3. August 2022 an Regina Jonas. Das ZeitZeichen gibt es auch als Podcast.
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