Es war nur ein scheinbar kleiner Moment, der aber große Bedeutung für das BVB-Innenleben hatte: Als im Pariser Prinzenpark nach 90 aufregenden Minuten der Schlusspfiff ertönte, fielen sich Edin Terzic und Nuri Sahin in die Arme. Glücklich. Beide lachten und ließen nach dem 1:0-Erfolg des BVB, der den Einzug ins Champions-League-Endspiel bedeute, eine kleine Tanzeinlage am Spielfeldrand folgen.
In den Katakomben ließen es die Spieler derweil krachen. "In der Kabine war die Hölle los, laute Musik und Alkohol", berichtete BVB-Sportdirektor Sebastian Kehl nach dem 1:0 (0:0) im Halbfinal-Rückspiel bei Paris St. Germain aus dem Inneren des Stadions - und die Bilder, die es raus in die Fußballwelt schafften, machten deutlich, dass Kehl damit nicht übertrieb.
Kabinentisch als Wasserrutsche
Jungstar Youssoufa Moukoko gab auf seinem Instagram-Kanal Einblicke - zu sehen war, wie Ersatztorhüter Alexander Meyer in völliger Ekstase den Kabinentisch zur Wasserrutsche umfunktionierte und darüber schlitterte. Um ihn herum tobte eine wilde Siegesfeier, Jadon Sancho mutierte zum DJ, und tanzte wenig später zu den Klängen von Adele über den Tisch.
Der Finaleinzug Borussia Dortmunds kommt ebenso überraschend wie triumphal daher. Und wurde von einem Trainerteam arrangiert, das zu Anfang des Jahres noch äußerst kritisch beäugt wurde. Schließlich bekam Cehfcoach Edin Terzic im Januar mit Sven Bender und Nuri Sahin zwei BVB-Exprofis an die Seite gestellt, die als aktive Fußballer viel mehr erreicht hatten, als der junge Cheftrainer des BVB.
Sahin und Bender - zwei "Aufpasser" für Terzic?
Für manch einen sah es gar so aus, als habe Terzic zwei "Aufpasser" an die Seite gestellt bekommen, die das Ruder gänzlich übernehmen könnten, sollte sich das Team nicht tunlichst rasch sportlich so weiterentwickeln, wie sich die Verantwortlichen das wünschten.
Schließlich hat gerade Sahin nie ein Hehl aus seinen Ambitionen gemacht: "Ich habe mich zu dieser Rolle als Co-Trainer überreden lassen, weil der BVB mein Heimtaverein ist. Eigentlich sehe ich mich zukpünftig aber als Cheftrainer eines Klubs", hatte der gebürtige Sauerländer kürzlich wissen lassen.
Sahin gibt den Ton vor
Und schon im Wintertrainingslager in Marbella waren auf dem Trainingsplatz immer wieder Sahins Ansagen zu hören: Der Co dirigierte, korrigierte und lobte die Ausführungen der Übungen. Terzic sah meist zu und mahnte nur gelegentlich: "Zuhören, Männer!"
Die BVB-Verantwortlichen hatten da zweifelsohne ein waghalsiges Manöver gestartet - schließlich gehört es nicht zum klassischen Tun eines Vereinsvorstandes, den eigenen Trainer derart auf die Probe zu stellen und in seiner Position zu schwächen.
Respekt von Sammer, Triumph für Terzic
Das empfand auch Vereinsberater Matthias Sammer so. Vor dem TV-Mikro brach er nach der Partie am Dienstag eine Lanze für Terzic: "Er ist ein junger Trainer, der sich immer weiterentwickelt. Man muss Respekt zeigen vor der Art, wie er mit der Situation umgegangen ist, dass er Sahin und Bender an die Seite gestellt bekommen hat." Nun, mit dem Einzug ins Finale, hat Terzic alle Kritiker widerlegt und auch einen ganz persönlichen Triumph hingelegt.
Nach dem fast unverschämten Aluminium-Glück des BVB (PSG traf in den beiden Spielen sechsmal Pfosten oder Latte) hatte sein Sportdirektor Kehl übrigens noch einen Spezialwunsch: "Das Tor sollten wir abbauen und mit nach Dortmund nehmen", sagte er mit einem Augenzwinkern: "Vielleicht brauchen wir es in Wembley nochmal."
Ausnahemezustand in Dortmund
Eine Maßnahme, der sicher auch die Fans zustimmen würden, die Dortmund in der Nacht in Ausnahmezustand versetzten. Rund um den Borsigplatz herrschte Partystimmung. Die Anhänger zündeten Feuerwerkskörper und fuhren im Auto-Korso laut hupend durch die Stadt, fremde Menschen lagen sich knapp ein Jahr nach dem Meisterdrama des BVB glückselig in den Armen. "Heute konnten wir unseren Fans etwas zurückgeben", sagte Terzic in Paris.
Rückkehr nach Wembley für Kehl, Sahin und Bender
Borussia Dortmund kehrt derweil elf Jahre nach der bitteren Niederlage gegen Bayern München für ein erneutes Champions-League-Finale nach Wembley zurück. Es ist übrigens auch eine Rückkehr für Sven Bender und Nuri Sahin. Die beiden langjährigen BVB-Profis standen im damaligen Finale gegen den FC Bayern beide auf dem Platz: Sahin wurde in der 90. Minute für Bender eingewechselt, unmittelbar nach dem 1:2. Herumreißen konnte er das Spiel damals nicht mehr.
Sebastian Kehl saß 2013 in Wembley auf der Bank und wurde nicht eingewechselt, elf Jahre später sagt er: "Ich würde mir nichts mehr wünschen, als dieses Finale noch mal zu spielen. Das wäre für die Bundesliga, für Deutschland und auch für die Vereine großartig." Nur diesmal vielleicht mit anderem Ausgang.