Punk, das ist Abschaum, "wertloser Dreck". So jedenfalls lässt sich der Begriff, den schon William Shakespeare für eine Prostituierte verwendet, übersetzen. Die zum Begriff gehörige Jugendbewegung, die sich das Motto "No future" der britischen Band "Sex Pistols" auf die Fahnen schreibt, entsteht Ende der 1970er Jahre unter der arbeitslosen Arbeiterjugend in den englischen Städten, die keinerlei Zukunftserspektive sieht und sich mit ihren bunt gefärbten Irokesenfrisuren, zerrissenen Hosen und Piercings von der bürgerlichen Gesellschaft distanzieren will.
In den 80er und 90er Jahren erlebt der Punk auch in Deutschland eine Hochzeit. "Ja, die Gesellschaft ist krank", resümiert ein Punker Anfang der 90er Jahre in Hannover. "Und ab und zu zieht sich der Eiter zusammmen, ob man das mag oder nicht."
Verletzte, Festnahmen, Sachschaden
In Hannover ist den Behörden die dortige Punkerszene bereits Anfang der 80er Jahre ein Dorn im Auge. Hier plant die Polizei, Jugendliche mit auffälligem Aussehen in einer Punker-Datei zu registrieren. Dagegen regt sich in der Szene Widerstand. "Die Polizei will uns zu Kriminellen abstempeln", heißt es in einem Aufruf von 1982. "Das lassen wir uns nicht gefallen. Deshalb kommt alle am 18. zum Chaostag." In den folgenden Jahren reisen Hunderte von Punks aus ganz Europa immer wieder nach Hannover, lernen sich auf den schließlich mehrtägigen Treffen kennen und vernetzen sich. Größtenteils läuft das friedlich ab. Aber es gibt auch Randalierer, die auf Krawall gebürstet sind.
Bei den "Chaostagen" am 4. August 1995 eskaliert die Situation, als die Polizei die rund 2.500 Teilnehmer aus dem Stadtzentrum vertreibt. In der Nordstadt errichten die wütenden Punker meterhohe Straßensperren und zünden einen Teil der Barrikaden an. Räumungsversuchen begegnen die Randalierer mit Steinen und Molotow-Cocktails. Autos brennen, ein Geschäft wird geplündert. Die Polizei ist sichtlich überfordert. 400 Verletzte, mehr als 1.000 Festnahmen und rund 800.000 D-Mark Sachschaden - so lautet die Bilanz nach drei Tagen.
"Geht nach Hause zu Mama"
"Wir waren schon vorbereitet", wird der niedersächsische Innenminister Gerhard Glogowski (SPD) später sagen. "Aber mit einer solchen Explosion der Gewalt in einer Stadt kann man zur Stunde nicht fertig werden." Der Polizeichef von Hannover tritt zurück, sein Nachfolger verbietet die Chaostage für das nächste Jahr. Um diese Maßnahme durchzusetzen, verschärft Niedersachsen sogar sein Polizeirecht. Nun ist es möglich, über 3.000 Menschen aus den Städten abzuschieben – allein aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbilds. Das ruft auch außerhalb der Punker-Szene zahlreiche Kritiker auf den Plan.
"Aufenthaltsverbot heißt eigentlich: Geht nach Hause zu Mama", rechtfertigt Glogowski die Maßnahme. "Es ist besser, als wenn ihr hier in Hannover einige Tage in eine Gefangenensammelstelle kommt." Denn Haft sei in Deutschland immer noch diskriminierender, als nach Hause geschickt zu werden.
Stand: 04.08.2015
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