"Der Deutsche Städtetag steht vor noch schwieriger werdenden Zeiten", warnt 1993 der Kölner Oberbürgermeister Norbert Burger als Präsident des Deutschen Städtetags (DST). 16 Jahre später beklagt Frankfurts OB Petra Roth als DST-Präsidentin: "Der fortschreitende Verfall der Infrastruktur ist unaufhaltsam." Im Juni 2015 konstatiert Städtetagspräsident Ulrich Maly: "An vielen Stellen sind die Grundvoraussetzungen der Daseinsfürsorge nur noch mit Mühe aufrechtzuerhalten."
Seit Jahrzehnten bestimmen zwei Themen die Arbeit des Deutschen Städtetags: Die Erfüllung kommunaler Pflichten bei chronisch klammen Kassen und das Ringen mit Staat und Ländern um höhere Finanzmittel. Dafür, so DST-Hauptgeschäftsführer Stephan Articus, stehen der Vertretung von rund 3.400 Städten zwei Instrumente zur Verfügung: "Wir können entweder vor Gericht klagen oder wir können in den Medien klagen." Noch ganz andere Kämpfe hatten die Vorläufer des Deutschen Städtetags auszufechten; der Obrigkeit galten sie als "Gespenst communaler Autokratie".
Großstädtische Radikale
Im 19. Jahrhundert verbünden sich regional erstmals Städte und Gemeinden, um die vom preußischen Freiherrn vom Stein entwickelte Idee der kommunalen Selbstverwaltung im Staatsgefüge durchzusetzen. Reichskanzler Bismarck aber bekämpft die nach Unabhängigkeit strebenden Städtebünde als "Vorarbeiter der Revolution, mit denen politische Gemeinschaft nicht mehr möglich ist." Nach Vereinigungen in Sachsen, Schlesien, Hannover und Thüringen entsteht 1896 in Berlin der Allgemeine Preußische Städtetag. Den kommunalen Verwaltungen wird "großstädtischer Radikalismus" und eine "Neigung der Städte zur Selbstüberhebung" vorgeworfen.
In den mit der Industrialisierung rasant wachsenden Großstädten spitzen sich die sozialen Probleme dramatisch zu. Zur Jahrhundertwende müssen die Verwaltungen dringend handeln, um die Lebensmittelversorgung ihrer Einwohner, die prekäre Wohnungslage und die Infrastruktur in den Griff zu bekommen. Gegen den Druck von oben konstituieren sich am 27. November 1905 in Berlin 131 Städte und sieben regionale Städtevereine zum Ersten Deutschen Städtetag. Seine Aufgabe soll sein, "die Wohlfahrt (…) zu pflegen, die gemeinschaftlichen Interessen der Städte zu wahren und die Kenntnis der Verwaltungseinrichtungen untereinander zu fördern."
Kommunale Selbstbestimmung im Grundgesetz
Die Nationalsozialisten machen 1933 Schluss mit der kommunalen Selbstverwaltung. Der Deutsche Städtetag wird "abgewickelt"; sämtliche Kommunen unterstehen ab 1935 im Deutschen Gemeindetag zwangsvereint direkt der Führung der NSDAP. Nach Kriegsende löst der Alliierte Kontrollrat 1945 den Gemeindetag wie alle Nazi-Organisationen auf. Der wieder eingesetzte Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer leitet angesichts der immensen Probleme in den zerstörten Städten sofort die Neugründung eines kommunalen Spitzenverbandes ein. 1948, vor Entstehen der Bundesrepublik, nimmt der Deutsche Städtetag mit Sitz in Berlin und Köln die Arbeit auf.
Die kommunale Selbstbestimmung steht bald im Grundgesetz. Nach Artikel 28, Absatz 2, sind Städte und Gemeinden berechtigt, ihre Angelegenheiten "in eigener Verantwortung zu regeln". Über die Höhe einer garantierten, aber nicht definierten Beteiligung am Steuereinkommen wird seither zwischen Stadt und Staat gestritten. Obwohl der Deutsche Städtetag laut eigenen Angaben 51 Millionen Einwohner vertritt, bleibt sein Einfluss auf Entscheidungen von Bund und Ländern begrenzt. Mitreden ja, mitbestimmen nein. So gehen DST-Hauptgeschäftsführer Articus die Klage-Gründe nicht aus, erst recht, seit die Kommunen für hunderttausende Flüchtlinge Obdach schaffen müssen. Bei allem Klagen aber bleibt der Städtetags-Verwaltungschef optimistisch. "Dass das System zusammenbricht oder vor die Wand fährt oder die Städte absaufen – das teilen wir nicht."
Stand: 27.11.2015
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