"Was ich bin, sind meine Filme", hat der Regisseur Werner Herzog einmal gesagt. Wenn das stimmt, ist er ein Wahnsinniger, ein Berserker. Seine Helden, das sind Figuren wie Fitzcarraldo, der musikbesessene Unternehmer, der von einem Opernhaus im Dschungel träumt. Oder der tyrannische Don Lope de Aguirre, der eine Expedition in das Amazonasgebiet führt, auf der Suche nach Eldorado.
Herzogs Filme sind dabei beides: bildschöne Expeditionen in exotische Regionen der Erde und ein unheilvolles Erkunden der menschlichen Seele.
Krach am Filmset
Seine Filmteams bringt er immer wieder an die Grenzen. Am extremsten ist das wohl bei "Fitzcarraldo" geschehen, dem Film, der ihm 1982 weltweit Ruhm einbringt. Um Kautschuk zu transportieren, lässt Fitzcarraldo im Film einen Flussdampfer über einen Bergrücken schleppen. Inszeniert ist das Geschehen wie in einem Dokumentarfilm. "Tatsächlich vor laufender Kamera ein Schiff über einen Berg zu ziehen, um zu zeigen, wie anstrengend das ist – das muss man sich erst mal trauen", sagt der Kölner Filmkritiker Uwe Mies.
Dazu engagiert Werner Herzog Einheimische und zum vierten Mal wählt er Klaus Kinski als Hauptdarsteller. Am Filmset kracht es. "Dir ist alles scheißegal. Dir sind auch die Leute immer egal gewesen. Verstehst du? Dann mach doch deinen Scheiß!", sagt Kinski.
Mehrfach droht das Projekt zu scheitern. "Am Schluss der Dreharbeiten boten mir die Indianer an, dass sie den Kinski ermorden würden, für mich. Sie sagten: Sollen wir ihn töten, für dich? Und ich sagte: Nein, um Gottes Willen, ich brauch' ihn ja noch zum Drehen, lasst ihn mir, lasst ihn mir", erinnert sich Herzog.
Kinski und Herzog: zwei ausgeprägte Egomanen
Mit Klaus Kinski hat Herzog seinen idealen Hauptdarsteller gefunden: ein Genie, das sich unterschätzt fühlt und die Visionen des Regisseurs teilt. "Mein liebster Feind" nannte Herzog ihn später in einem Filmporträt. Der Erfolg seiner frühen Filme liegt auch an den Großaufnahmen von Klaus Kinski aus leichter Untersicht. Kinskis Augen zeigen jenes Feuer, das er mit Herzog gemeinsam hat.
"Beide sind ausgeprägte Egomanen. Herzog ist derjenige, der sich das Ganze zu Hause im Kämmerlein ausdenkt. Und Kinski ist von vornherein der Extrovertierte, also der Vulkan, der immer kurz vorm Ausbruch steht. Das hat gut gepasst", sagt der Filmkritiker Uwe Mies.
Herzog ist immer bereit, Grenzen zu überschreiten
Geboren wird Werner Herzog am 5. September 1942 in München. Seine erste Kamera stiehlt er: kein Verbrechen, wie er findet, sondern eine Notwendigkeit. Heute unterrichtet er selbst Filmschüler, allerdings nicht nach Lehrbuch. "Als allererstes – weil ich das ankündige – bringe ich den Studenten bei, wie man Sicherheitsschlösser knackt und Dokumente fälscht."
Das ist Herzogs Stil: Er ist immer bereit, Grenzen zu überschreiten. Mit 26 Jahren erhält er den Deutschen Filmpreis für seinen ersten langen Spielfilm, "Lebenszeichen". Neben Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Edgar Reitz, Wim Wenders und Volker Schlöndorff gehört er schnell zur Bewegung des Neuen Deutschen Films. "Dabei wird von den Filmemachern erwartet, dass sie einen komplett anderen Blick auf Wirklichkeit werfen, als das bisher der Fall war", erklärt Uwe Mies.
Und Herzog liefert. Er schafft Meisterwerke wie "Aguirre – Der Zorn Gottes" (1972), "Nosferatu: Phantom der Nacht" (1979) und "Woyzeck" (1979). In "Herz aus Glas" von 1976 lässt er einige seiner Darsteller unter Hypnose agieren. "Herzog hat das Pech gehabt, dass er seine großen Erfolge als junger Mann gefeiert hat – zumindest als Regisseur von Spielfilmen", erklärt Uwe Mies.
Für seine jüngeren Spielfilme kassiert Herzog schlechte Kritiken, für seine sehr persönlichen Dokumentarfilme viel Lob. Inzwischen inszeniert Herzog auch Opern – und nach wie vor sich selbst. "Ich will ein guter Soldat des Kinos sein, jemand, der in der Lage ist, einen Außenposten zu halten, den alle anderen aufgegeben haben", sagt er.
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