Elias Canetti ist alles andere als ein Fußball-Fan. Doch dann zieht der Schriftsteller in die Nähe des legendären Rapid-Wien-Stadions auf der Hütteldorfer Pfarrwiese. Und vernimmt plötzlich, an einem Sonntag, "den Aufschrei der Masse". Von da an hört er "dem ganzen Match zu", ohne irgendetwas vom Spiel sehen zu können. Und registriert, dass die Triumphrufe der Sieger anders klingen als der "Aufschrei der Enttäuschung".
Das Erlebnis gibt den Anstoß zu Canettis philosophischem Hauptwerk "Masse und Macht", das 1960 erscheint. Es passt gut zu einem Club, der in Österreich immer noch Kultstatus besitzt. Und es bis heute schafft, die Masse zu mobilisieren.
Zur Strafe an die Front?
Gegründet wird der Verein als "1. Wiener Arbeiter-Fußball-Club" bereits 1897. Der Anfang ist schwer, denn viele der etablierten Mannschaften weigern sich, gegen Arbeiter anzutreten. Auch gehen von den ersten 20 Spielen 18 verloren. Am 8. Januar 1899 treffen sich die Vereinskameraden deshalb zu einer Krisensitzung. Und ändern erst einmal den Namen. Als Sport-Klub Rapid Wien gewinnen die Kicker in der Saison 1911/1912 die erste offizielle österreichische Meisterschaft.
Im Zweiten Weltkrieg wird Rapid Wien endgültig zur Legende. Denn seit dem Anschluss Österreichs spielt die jeweils beste Mannschaft des Landes mit im Kampf um die Deutsche Meisterschaft. 1941 kommt Rapid ins Finale und dreht einen uneinholbar schienenden 3:0-Vorsprung des FC Schalke dank seines Stürmerstars Franz Binder innerhalb von zwölf Minuten. Der Legende nach schickt ein erzürnter Adolf Hitler Binder danach zur Strafe an die Front. Belege hierfür aber fehlen.
"Rapid Wien – Lebenssinn"
32 Mal wird der SK Rapid Wien Österreichischer Meister. Der Klub bringt Stars wie Ernst Happel oder Hans Krankl hervor, der Deutschland 1978 beim 3:2-Sieg Österreichs während der WM in Argentinien die "Schmach von Cordoba" – und damit das frühe Aus – beschert. Krankl schießt die Wiener auch als erstes Team des Landes in ein Europacup-Finale – das allerdings gegen den FC Everton mit 1:3 verloren geht.
Danach geht es bergab. Mitte der 1990er Jahre steht der Club vor dem finanziellen Ruin. Dank eines neuen Sponsors aber kann sich Rapid berappeln. Zuletzt wird der Club 2008 österreichischer Meister. Heute allerdings dominiert Red Bull Salzburg die Liga. Die Fan-Masse steht mit Schlachtrufen wie "Rapid Wien – Lebenssinn" trotzdem wie ein Mann hinter dem Verein. Genauso wie zu Elias Canettis Zeiten.
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