Der argentinische Komponist und Dramatiker Enrique Santos Discépolo nennt den Tango einen "traurigen Gedanken, den man tanzen kann". Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn der klassische Tango sprüht mit seinem Vierachtel-Takt nur so vor Energie und Emotionen, die teils auch melancholisch sind. Immerhin geht es um Einsamkeit, Heimweh, Schmerz, Zorn, Sehnsucht – und eben Liebe.
Und der Milonga, ein Vorläufer des Tangos und heute Namensgeber für Tango-Abende generell, kommt sogar äußerst schnell und fröhlich daher.
Gewebt aus Sehnsucht und Heimweh
Bis heute gelten Buenos Aires und Montevideo als Zentren des Tanzes. Wo aber genau seine Ursprünge liegen, ist unbekannt. Fest steht, dass sich die Musikrichtung als wilde Mischung aus Polka, Walzer, Habanera, Milonga und Candobe - dem Tanz der Schwarzen - irgendwo am Ufer des fast 300 Kilometer langen Rio Plata ausbildet.
Er ist ein ebensolches Gemisch wie jene Einwandererschar, die zwischen 1880 und 1930 aus Italien, Spanien und Osteuropa hierher kommt, um auf einem Stück zugewiesenen Landes ihr Glück zu finden. Mit im Gepäck: Hoffnung. Und Heimweh.
Aber Südamerika ist auf diesen Ansturm von immerhin rund sechs Millionen Menschen nicht vorbereitet. Statt auf den versprochenen Feldern landen die Migranten meist in den Vorstädten von Buenos Aires und in Uruguay. Das ist der Nährboden für einen sehnsuchtsvollen Tanz, bei dem sich die Tanzenden eng umarmen müssen, um ihre Gefühle zu übertragen.
Das "Bordellreptil" wird geadelt
Lange gilt der Tango in Südamerika als schmutzig und lüstern. Als "Bordellreptil" wird er vom argentinischen Dichter Leopoldo Lugones verspottet. 1907 kommt der Tanz mit dem Tango-Pionier Angel Villoda nach Paris. Seine Schallplattenaufnahme von "El Choclo" macht die Musik - und mit ihr den Tanz - mit einem Schlag in Europa berühmt. Bis heute gehört die Komposition neben "La Cumparsita" zu den meistgespielten Tangos weltweit.
Von Europa schwappt die Anerkennung zurück nach Südamerika. In den 1920er Jahren beginnt die große, goldene Epoche des Tango. Bis Mitte der 1950er Jahre läuft es richtig gut für ihn, gerade auch im damals reichen Argentinien, wo Komponisten und Orchester, aber auch Tango-Sänger wie Carlos Gardel großen Anklang finden. Jeden Abend gibt es mindestens drei Milongas allein in Buenos Aires.
Nach einer eher ruhigen Pause in den 1970er und 1980er Jahren erlebt der Tango zur Jahrtausendwende ein Revival. Am 30. September 2009 setzt ihn die UNESCO auf die Liste des immateriellen Kulturerbes.
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"ZeitZeichen" auf WDR 5 (9.45 Uhr) und WDR 3 (17.45 Uhr) erinnert am 30. September 2019 ebenfalls an die Ernennung des Tangos zum Weltkulturerbe. Auch das "ZeitZeichen" gibt es als Podcast.
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