Im März 1881 trifft sich die junge Revolutionärin Vera Figner mit ihren Mitverschwörern von der Untergrundorganisation "Volkswille" in einer Sankt Petersburger Käsehandlung. Bis acht Uhr morgens basteln sie ihre Bomben, dann gehen sie zum Gribojedow-Kanal, um Zar Alexander II. zu ermorden. Die erste Bombe verfehlt ihr Ziel, die zweite tötet den Zaren, als er aus seiner Kutsche steigt.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet jener Zar, der endlich die vom Volk ersehnten Reformen für die Bauern anstößt, revolutionären Umtrieben zum Opfer fällt.
Freiheit für 42 Millionen Russen
Geboren wird Alexander II. am 29. April 1818 in Moskau. Zu dieser Zeit lässt das System der Leibeigenschaft für Bauern den Unmut gegen die Zarenherrschaft wachsen. Als Alexanders Vater Nikolaus I. den verheerenden Krimkrieg gegen Frankreich und England beginnt, bricht sich der Aufruhr endgültig Bahn. Viele Großgrundbesitzer werden von ihren Leibeigenen getötet.
1855 besteigt Alexander II. den Thron. Intellektuelle und Bauern setzen große Hoffnungen auf ihn. Tatsächlich beendet der neue Zar bereits nach einem Jahr den Krimkrieg. 1861 schafft er gegen alle Widerstände die Leibeigenschaft ab. Fast ein halbes Jahrhundert nach der Abschaffung in den Ländern Europas kommen 42 Millionen Russen – rund 80 Prozent der Bevölkerung – frei.
Der Bauernaufstand bleibt aus
Alexander II. will die Justiz und das Bildungswesen reformieren. Er plant ländliche Selbstverwaltungen und Pressefreiheit. Damit macht er es allerdings auch möglich, seinen Unmut ohne Angst vor Verbannung offen zu artikulieren. Hinzu kommt, dass sich die Lage der Bauern keineswegs verbessert. Sie müssen Land vom Adel kaufen, staatliche Kredite lassen sie abhängig bleiben.
Als Alexander II. die ländliche Selbstverwaltung einführt, strömen Hunderte idealistische Intellektuelle aufs Land, um zu helfen. Darunter ist auch Vera Figner, die damit erstmals mit dem ganzen Elend der Landbevölkerung konfrontiert wird. Die russische Intelligenzija schließt sich zum geheimen Bund der "Volkstümler" zusammen. Sie schreiben Manifeste und rufen zum Umsturz auf. Alexander II. reagiert mit Massenverhaftungen – und feuert den Widerstand damit weiter an.
Durch das erfolgreiche Attentat von 1881 wird Alexander II. in gewisser Weise zum Opfer seiner eigenen Reformen, auch wenn der von den Narodniki, den Volkstümlern, erhoffte Bauernaufstand ausbleibt. Das Ende der Zarenherrschaft werden erst die Arbeiter unter Lenin nach dem Ersten Weltkrieg besiegeln.
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