Stichtag

28. August 2006 - Vor 1530 Jahren: Der letzte weströmische Kaiser dankt ab

"Wenn Himmel und Erde vergehen, warum sollte es uns überraschen, wenn auch der Staat aufhören wird zu bestehen. Wenn das, was Gott erschaffen hat, eines Tages vergeht, dann wird das, was Romulus gegründet hat, sicher viel eher verschwinden." Der Theologe und Bischof Augustinus schreibt diese Zeilen, um den Schock zu verarbeiten, den die Plünderung Roms durch die Goten 410 ausgelöst hat. Er ahnt wohl nicht, dass der römische Staat tatsächlich mit einem Kaiser enden wird, der wie der legendäre Gründer Romulus heißt.


Längst sind die eigentlichen Machthaber im Reich die Militärs. Der General Orestes ist um 470 der starke Mann. Um seine Herrschaft langfristig zu sichern, macht er seinen Sohn Romulus Augustulus zum Kaiser, als der gerade neun Jahre alt ist. Das Weltreich des Kinderkaisers ist zerbrechlich: Die Hunnen wurden vor wenigen Jahren nur mit Not abgewehrt. Germanenstämme leben längst zahlreich auf dem Territorium Roms. Sie sind Sklaven, Siedler und Soldaten. Ein Dilemma: Rom braucht die Barbaren gegen die Barbaren. So übernehmen sie schleichend den Staat.


Als im Heer ein Streit um den Sold ausbricht, zettelt der germanische Heerführer Odoaker eine Rebellion an. Am 28. August 476 wird Orestes im Kampf getötet. Odoaker ruft sich noch auf dem Schlachtfeld zum "Rex Italiae" aus, zum König Italiens. Er übernimmt also nicht die Kaiserkrone und verschont auch - ganz unüblich unter den Römern - den Kinderkaiser. Der erhält sogar eine Villa und eine Pension von 4.000 Goldstücken jährlich.

Mit dem Staatsstreich Odoakers endet das weströmische Kaiserreich. Der oströmische Kaiser in Konstantinopel schickt 13 Jahre später einen seiner germanischen Vasallen, um Odoaker zu stürzen. Theoderich gelingt der Coup, aber er entzieht sich bald dem Einfluss Konstantinopels. Rom bleibt von wechselnden germanischen Herrschern regiert. Keiner ist in der Lage, das alte Reich zusammen zu halten.

Die Großstädte verfallen, der Geldumlauf kommt zum Erliegen, Theater und Akademien schließen nach und nach. Statt aus Wasserleitungen lebt man aus Zisternen. Die bäuerliche Kultur Nordeuropas mit ihrer Stammespolitik überlagert die römische Zivilisation. Im Rückblick erscheint der 28. August 476 den Historikern als Ende der Antike und Wende zum Mittelalter.

Stand: 28.08.06