Wir sind überall - in den Unternehmen, in den Behörden, bei der Bundeswehr und bei Hartz IV. Wir sind sogar Ministerpräsident. Und: Wir sind Kanzlerin. Nur Papst sind wir noch nicht. Wir – das sind jene, die in der DDR ein blaues Hemd getragen haben und Mitglied in der "Freien Deutschen Jugend" (FDJ) waren. Die FDJ ist damals "der treue Helfer und die zuverlässige Kampfreserve der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED), wie es offiziell heißt. Zu Beginn ist die FDJ allerdings nicht an eine Partei gebunden. Sie entsteht gut einen Monat vor der SED und rund dreieinhalb Jahre vor der DDR. Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland ( SMAD) genehmigt am 7. März 1946 in der sowjetischen Besatzungszone den Antrag auf Gründung einer "überparteilichen, einigen, demokratischen Jugendorganisation". In Brandenburg an der Havel wird Erich Honecker zum Vorsitzenden ernannt. Noch gilt die neue Organisation auch bürgerlichen Gruppen als überparteiliches Sammelbecken mit kultureller, sportlicher und antifaschistischer Ausrichtung.
Ursprünglich ist die FDJ bereits vor dem Zweiten Weltkrieg entstanden – nicht in Deutschland, sondern im Exil. FDJ-Gruppen gründeten sich 1936 in Paris, 1938 in Prag und 1939 in Großbritannien. Doch das ist in der östlichen Besatzungszone kein Thema – waren diese Gruppen doch ohne direkten Einfluss der Sowjetunion entstanden. Zudem waren die Exil-FDJ-Gruppen weder zentralistisch noch streng ideologisch aufgebaut, wie es für die neue FDJ geplant ist. Von der frühen FDJ werden nur der Name und das leicht variierte Emblem der aufgehenden Sonne übernommen. Zügig entwickelt sich die FDJ unter Honeckers Regie in eine SED-Jugendorganisation. Honecker hat bereits im Gründungsjahr in einem Aufsatz für das SED-Monatsheft "Einheit" geschrieben: "Die Partei wird der Magnet sein, der die aktive Jugend mit unwiderstehlicher Gewalt anzieht." Die FDJ wird auch zur staatstragenden Organisation. Am 7. Oktober 1949, dem Gründungstag der DDR, lobt der damals 37 Jahre alte Honecker dem designierten Staatspräsidenten Wilhem Pieck Treue: "Hoch verehrter Herr Präsident, im Auftrag von nahezu zwei Millionen Deutschen übermittle ich Ihnen in dieser geschichtlichen Stunde das Gelöbnis der deutschen Jugend."
Bis zum Ende des neuen Staates präsentiert die FDJ die immer gleichen Rituale: Langatmige, phrasenhafte Ansprachen der Funktionäre, einstudierte Hochrufe und große Aufmärsche von blau uniformierten Jugendlichen mit Fackeln in den Händen. In den Anfangsjahren der DDR liegt die Mitgliederzahl der FDJ bei gut einer halben Million Jugendlicher - knapp die Hälfte der 14- bis 26-Jährigen. Im Jahr 1989 hat die FDJ 2,3 Millionen Mitglieder, das entspricht fast 90 Prozent aller DDR-Jugendlichen. Die Organisation ist fast überall präsent: Es gibt Jugendbrigaden in den Betrieben, jährliche Poetenseminare für junge Lyriker und sogar FDJ-Single-Clubs. Mit dem FDJ-eigenen Reisebüro "Jugendtourist" können verdiente FDJ-Mitglieder nicht nur die realsozialistischen Bruderländer besuchen, sondern auch in das kapitalistische Ausland fahren. Die Mitgliedschaft in der FDJ ist - wie vieles in der DDR - zur belanglosen Routine geworden, die aber Vorteile mit sich bringt.
Stand: 07.03.06