Stichtag

09. Mai 2006 - Vor 30 Jahren: RAF-Mitbegründerin Ulrike Meinhof stirbt

9. Mai 1976, siebter Stock der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim. Um 7.34 Uhr an diesem Sonntagmorgen öffnen zwei Beamte die Zelle 719. Die RAF-Mitbegründerin Ulrike Meinhof hängt tot am Gitter ihres linken Zellenfensters. Sechs Minuten später stellt der Gefängnisarzt fest, dass der Körper ausgekühlt ist und mehrere Leichenflecken aufweist. Polizeibeamte sichern Spuren und fotografieren den Raum. Ein Abschiedsbrief wird nicht gefunden. Um 10.30 Uhr wird die Leiche vom Fenstergitter entfernt. Am Mittag wird die amtliche Obduktion durchgeführt. Das Ergebnis: Suizid durch Strangulierung, keine Fremdeinwirkung.Zwei Tage später wird Meinhofs Leichnam auf Antrag ihrer Schwester und der Verteidiger noch einmal obduziert. Sie bezweifeln die offizielle Selbstmord-Diagnose und werten das von der Bundesanwaltschaft angeführte Motiv - "Spannungen in der Gruppe" der RAF-Gefangenen - als Propagandalüge. Doch auch die zweite Obduktion ergibt keine Anhaltspunkte für Fremdeinwirkung. Verteidiger und Angehörige initiieren daraufhin eine "internationale Untersuchungskommission". Die von der Kommission beauftragten Gutachter überprüfen die Obduktionsberichte und die kriminaltechnischen Ermittlungsergebnisse. Dabei stellen sie Widersprüchlichkeiten fest, die sie in einem Abschlussbericht festhalten. Ihr Fazit: "Die Behauptung der staatlichen Behörden, Ulrike Meinhof habe sich durch Erhängen selbst getötet, ist nicht bewiesen." Vielmehr liege der Schluss nahe, "dass Ulrike Meinhof tot war, als man sie aufhängte." Über die Todesursache gibt es immer neue Spekulationen. "Dabei wird der Streit, ob es ein Tod von eigener oder fremder Hand war, zu einer Auseinandersetzung um Bekenntnisse", schreibt Meinhof-Biograph Mario Krebs.

Von der Salon-Linken zur Terroristin

Die am 14. Mai 1934 geborene Ulrike Meinhof arbeitet zunächst als Journalistin.  Anfang der 60er Jahre ist sie Chefredakteurin der Zeitschrift "Konkret". Mit Mann und Kindern lebt sie im noblen Hamburg-Blankenese, trägt Kostüm und wird als Renommier-Linke gern zu Partys eingeladen. Nach ihrer Scheidung zieht sie nach Berlin und wendet sich der Außerparlamentarischen Opposition zu. Sie engagiert sich gegen den Vietnamkrieg. Ihr Einsatz gilt den Unterdrückten und Ausgebeuteten: "Wir sind engagiert für diejenigen, die versuchen, sich zu befreien von Terror und Gewalt. Und wenn ein anderes Mittel als das des Krieges ihnen nicht übrig bleibt, dann sind wir für ihren Krieg."

Als Meinhof 1968 über einen Prozess gegen vier Kaufhausbrandstifter berichtet, lernt sie den Angeklagten Andreas Baader kennen. Als Baader ins Gefängnis kommt, beteiligt sich Meinhof an einer Befreiungsaktion, bei der ein Mann durch einen Schuss schwer verletzt wird. Meinhof flüchtet gemeinsam mit Baader und dem Kommando. Bereits am nächsten Tag werden die Mitglieder der so genannten Baader-Meinhof-Bande per Steckbrief gesucht. Aus der Journalistin wird die Staatsfeindin Nummer Eins. Die ganze Gruppe taucht unter und erhält in Palästinenserlagern im Nahen Osten eine Kampfausbildung. Nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik folgen zahlreiche Banküberfälle, Bombenattentate und Morde. In ihren Bekennerschreiben nennt sich die Gruppe nun "Rote Armee Fraktion" (RAF). Nach und nach werden die führenden Köpfe der RAF verhaftet. Am 15. Juni 1972 wird Ulrike Meinhof gefasst. In Köln-Ossendorf verbringt sie Monate in Einzelhaft. Die strikte Isolation im "Toten Trakt" beschreibt sie als "Versuch, einen Selbstmord zu erpressen". Anschließend wird sie nach Stuttgart-Stammheim verlegt, wo ihr und anderen RAF-Gefangenen  im angeschlossenen Gerichtssaal auch der Prozess gemacht wird. Bevor jedoch das Urteil gesprochen werden kann, wird Ulrike Meinhof tot aufgefunden.

Stand: 09.05.06