Die Familie Bocuse ist seit 1634 an den Ufern der Saone zu Hause. Erst betreibt sie eine Mühle, 1765 wird ein Restaurant daraus. Die schöne Marie Bocuse, Großmutter des späteren Küchen-Gurus, soll hin und wieder sich selbst zum Nachtisch männlicher Gäste serviert haben. Daraufhin verkauft ihr Mann das Lokal, aber sein Sohn macht ein neues Hotel im Norden Lyons auf: Neun Tische, neun Zimmer. In der "Auberge du Port" kochen bald Vater George und sein am 11. Februar 1926 geborener Sohn Paul gemeinsam. 1958 erhalten sie gemeinsam ihren ersten Stern der Gourmet-Bibel Guide Michelin.Paul wird bald zur Stadtlegende von Lyon. Mit 17 Jahren geht er in die Resistance, wird im Elsaß schwer verletzt, kommt mit einem gallischen Hahn auf dem Arm zurück, den er sich im amerikanischen Lazarett hat tätowieren lassen. Paul liebt den Jahrmarkt: Er sammelt Drehorgeln, lässt sich als Elefantendomteur fotografieren und auf einem Seil über die Saone tragen, mit einer Kiste Beaujolais auf den Knieen. Paul liebt die Frauen: Zeitweise soll er einen ganzen Harem unterhalten haben, sagt der Klatsch; drei Gefährtinnen (gleichzeitig) bestätigt er. Und Paul liebt das Kochen: 1965 hat er drei Michelin-Sterne zusammen, den Orden für Küchenpäpste.Als ihn Valéry Giscard d'Estaing 1975 zum Ritter der Ehrenlegion schlägt, kocht er das Festessen selbst. Er serviert eine Ochsenschwanzsuppe mit Trüffelstreifen, die durch eine Blätterteighaube verschlossen wird. Die "Soupe aux Truffes Noires" wird als "Präsidentensuppe" weltberühmt. Wegen seiner Künste der Verfeinerung gilt Paul Bocuse Gastronomiekritikern als Miterfinder der "Nouvelle Cuisine", von der er sich später jedoch vehement distanziert. "Nichts auf dem Teller - alles auf der Rechnung" spottet der Meister und schimpft: "Die Nouvelle Cuisine hat die französische Küche ins Absurde überspitzt."
Bocuse überspitzt nicht, sondern vermarktet. Der Guru des frischen Kochens vertreibt weltweit Delikatessen-Konserven und Kochbücher in Millionenauflagen. Für sein größtes Verdienst hält er selbst, dass er den Koch vom versteckten Gehilfen der Hoteliers zum Künstler und Chef gemacht hat. Denn - so trägt er in einen Fragebogen ein - die bewundernswürdigste Reform sei "die Nivellierung der Gesellschaft."
Stand: 11.02.06