1. März 1932, US-Bundesstaat New Jersey: Der Abend im kleinen Ort Hopewell ist stürmisch. Im Haus des amerikanischen Flugpioniers Charles Lindbergh ist die Polizei eingetroffen. Betty Gow, das Kindermädchen, hatte gegen 22 Uhr Alarm geschlagen. Der 20 Monate alte Charles Lindbergh junior war aus seinem Kinderbett verschwunden. Auf dem Fenstersims liegt ein Brief: "Halten Sie 50.000 Doller bereit! (...) Das Kind ist in Sicherheit." Die Ermittlungen laufen zunächst ins Leere. Schließlich gelingt es dem ehemaligen Lehrer John Francis Condon, Kontakt zu den Entführern aufzunehmen: Der 72-Jährige hatte ihnen seine Vermittlungsdienste per Zeitungsannonce angeboten. Nach schriftlichen Anweisungen trifft sich Condon mit einem der Kidnapper auf einem Friedhof. Sie vereinbaren ein Tauschgeschäft: das Lösegeld gegen einen Zettel. Darauf steht: "Der Junge befindet sich auf dem Boot Nelly." Doch die Nachricht ist falsch. Es gibt kein Boot namens Nelly. Dann der Schock: Ein Lastwagenfahrer findet das vermisste Baby in einem Wäldchen in unmittelbarer Nähe des Lindbergh-Hauses. Es ist bereits kurz nach der Entführung ermordet worden.Am 18. September 1934 bezahlt ein Mann aus der Bronx an der Tankstelle mit einem registrierten Zehn-Dollar-Schein aus dem Lösegeld. Der Tankwart verständigt die Polizei, die bald darauf der Presse den Verdächtigen präsentiert: Bruno Richard Hauptmann, ein deutscher Einwanderer aus Kamenz in Sachsen, der in Deutschland vier Jahre wegen Einbruchs und Diebstahls im Gefängnis gesessen hat. Er ist illegal nach Amerika eingereist. In Hauptmanns Haus findet die Polizei einen Schuhkarton mit knapp 14.000 Dollar aus dem Lösegeld. Sein angeblicher Bekannter Isidor Fisch habe ihm den Karton zur Aufbewahrung gegeben, sagt Hauptmann bei seiner Vernehmung. An der Rückwand seines Kleiderschranks finden die Beamten eine Bleistiftkritzelei: die Telefonnummer und den Namen von Vermittler Condon. Der Fall scheint klar - obwohl Hauptmann vor Gericht immer wieder beteuert: "Ich schwöre bei Gott: Ich bin unschuldig!" Der 36-Jährige wird zum Tod verurteilt. Hauptmann stirbt am 3. April 1936 um 20.47 Uhr im Staatsgefängnis in Trenton auf dem elektrischen Stuhl.
45 Jahre nach der Hinrichtung darf die Witwe Anna Hauptmann die Gerichtsakten einsehen. Sie bestätigen, dass der Staatsanwalt seinerzeit offenbar alle Entlastungsbeweise unterschlagen hat. Nicht Hauptmann hatte demnach die Telefonnummer auf die Rückwand des Kleiderschranks geschrieben, sondern ein Reporter, der sich später dazu bekannte. Auch der ominöse Isidor Fisch war vermutlich keine Erfindung. Er hatte anscheinend das heiße Lösegeld aus dem Lindbergh-Fall mit üppigem Rabatt gekauft und bei Hauptmann untergebracht. Auch Belege für Hauptmanns Alibi - er hatte angegeben, zur Tatzeit gearbeitet zu haben - spielten im Prozess keine Rolle. Am Vorabend seiner Hinrichtung hatte Hauptmann den Behörden einen Brief hinterlassen: "Sie wissen, dass man nicht die Wahrheit gesagt hat. (...) Gott wird über mich und Sie richten!"Stand: 03.04.06