Als seine Stieftochter Amalie in einer Anzeige bekannt gibt, dass "Gotthold Ephraim Lessing am 15. Februar abends zwischen acht und neun Uhr, im 53sten Lebensjahre, der Welt entrissen wurde", sind die öffentlichen Reaktionen geteilt: Die einen, wie Johann Gottfried Herder, rühmen ihn als "Wahrheitssucher und Wahrheitsverfechter", als Aufklärer und Kämpfer gegen Standesdünkel und konfessionelle Engstirnigkeit. Andere, wie der Verfasser eines Nachrufs im "Kirchenboten", schimpfen noch posthum über den Feind der Kirche und Judenfreund.Lezteres wird Lessing schon früh: Der Pastorensohn aus der Oberlausitz arbeitet nach dem Studium sieben Jahre lang als Journalist in Berlin. In der toleranten Atmosphäre im Preußen Friedrich des Großen arbeitet er eng mit Moses Mendelssohn zusammen, dem ersten jüdischen Aufklärungsphilosphen. Das Thema religiöse Toleranz zwischen Christen, Muslimen und Juden beschäftigt Lessing bis zu seinem späten Drama "Nathan der Weise". Lessing ist ein früher freischaffender Intellektueller: Immer wieder um eine Anstellung bemüht, gleichzeitig aber auf seine Unabhängigkeit bedacht. Er lebt vom Schreiben, verfasst Gedichte, philosophische Abhandlungen und Theaterstücke. Ständig ist er von finanziellen Sorgen geplagt. Eine Bildungsreise, die ihn bis nach Amerika führen soll, muss er schon in Amsterdam abbrechen. Fünf Jahre lang ist er Sekretär des Generals Tauentzien in Breslau. Hier verfällt Lessing zeitweise dem Alkohol und der Spielsucht. In Hamburg scheitert sein drei Jahre lang betriebene Projekt eines "Deutschen Nationaltheaters". Lessing ist pleite und nimmt die Stellung als Leiter der großen Bibliothek des Herzogs August in Wolfenbüttel an.Optimist mit DepressionenAus der Provinz heraus hält er Deutschland in Atem. Die Veröffentlichung früher bibelkritischer Forschungen entfacht einen heftigen Streit mit dem Hamburger Pfarrer Goeze. Sein Drama "Minna von Barnhelm" bringt eine emanzipierte Frau als Hauptperson auf die Bühne und formuliert eine bürgerliche Moral gegen Standeskonventionen. In der "Erziehung des Menschengeschlechts" formuliert Lessing seinen Optimismus, seine Hoffnung in die Entwicklung eines aufgeklärt-humanistischen Europas.
Dabei wird Lessing selbst häufig von Depressionen befallen. Er heiratet noch mit 48 Jahren seine langjährige Verlobte, die Witwe Eva König. Schon ein Jahr später stirbt Eva und ihr einziger gemeinsamer Sohn wenige Tage nach der Geburt. "Ich freue mich, dass mir viel dergleichen Erfahrungen nicht mehr übrig sein können zu machen und bin ganz leicht", schreibt Lessing. Er ist noch nicht alt, aber krank. Seine geliebte Stieftochter Amalie pflegt ihn in den letzten Monaten und begleitet ihn auch zu einem Besuch bei Freunden in Braunschweig, wo er stirbt. "Entschlossen, ruhig, voll Besinnung bis in den letzten Augenblick", schreibt sie.
Stand: 15.02.06