1966 ist ein Wechseljahr. Zum ersten Mal gerät die Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg in eine Wirtschaftskrise mit wachsender Arbeitslosigkeit - vor allem im Ruhrgebiet. Ein Grund dafür ist das Erdöl, das eine immer größere Konkurrenz für die Kohle wird. Seit 20 Jahren ist in Nordrhein-Westfalen die CDU fast ununterbrochen Regierungspartei. Doch die SPD wird immer stärker - nicht nur auf Landes-, sondern auch auf Bundesebene.
In NRW bahnt sich der große Wechsel in der Politik bereits 1964 an. Die SPD gewinnt bei den Kommunalwahlen in vielen Städten die Mehrheit und erobert sich Hochburgen wie Köln und Essen. Doch der SPD-Landesvorsitzende Heinz Kühn hat sich ein höheres Ziel gesetzt: Er will auch den Machtwechsel im Düsseldorfer Landtag. Im Sommer 1966 scheint er sein Ziel zu erreichen.
Die Sozialdemokraten gewinnen die Landtagswahl am 10. Juli mit 49,5 Prozent der Stimmen. Die CDU wird erstmals auf den zweiten Platz verwiesen. Dennoch bleibt der alte Ministerpräsident im Amt: der Christdemokrat Franz Meyers. Die CDU will mit Hilfe der FDP weiter regieren. Die schwarz-gelbe Koalition verfügt über eine knappe Mehrheit von zwei Stimmen.
Heinz Kühn kündigt an: "Wir werden auf den Sturz dieser Regierung bei jeder sich bietenden Gelegenheit hinarbeiten." Die Chance bietet sich schnell. Die Bundespolitik spielt Kühn in die Hände. Die schwarz-gelbe Koalition in Bonn zerbricht im Herbst 1966, als FDP-Fraktionschef Erich Mende den Rücktritt der vier liberalen Minister erklärt. Die FDP will die von der CDU geplante Steuererhöhung nicht mittragen. Der einstige Wirtschaftswunder-Kanzler Ludwig Erhard (CDU) hat ausgedient. Nun bestimmt die Wirtschaftskrise die politische Debatte. Als sich im Bundestag eine große Koalition anbahnt, kommt auch im NRW-Landtag Wechselstimmung auf.
Die SPD nutzt die Chance und verhandelt konspirativ mit CDU und FDP. Beide hängen an der Macht und wollen ihre Position sichern. Fast scheint ein rot-schwarzes Bündnis unter Dach und Fach, als die SPD-Basis kritisiert: Warum in einer Großen Koalition die zweite Geige spielen, wenn man in einem sozial-liberalen Bündnis den Ton angeben könnte? Warum vier Ministerposten an die CDU abtreten, wenn die FDP mit zwei zufrieden ist?
Bei weiteren Geheimtreffen werden sich SPD und FDP schließlich einig: Sie stürzen am 8. Dezember 1966 die Regierung Meyers mit einem so genannten konstruktiven Misstrauensvotum und wählen Heinz Kühn zum neuen Ministerpräsidenten. Mit ihm beginnt eine 39-jährige Ära der SPD in NRW. Die Wahl Kühns ist auch Wegbereiter für den strategischen Wechsel auf der Bundesebene drei Jahre später: Als die Große Koalition unter Kurt Georg Kiesinger 1969 endet, wird das Düsseldorfer Modell Vorbild für die sozial-liberale Koalition unter Willy Brandt (SPD).
Stand: 08.12.06