Im Musical "My Fair Lady" lernt das Blumenmädchen Eliza Doolittle durch Anweisungen von Professor Higgins richtiges Sprechen. An diese Geschichte denkt Computer-Professor Joseph Weizenbaum, als er im Januar 1966 sein experimentelles Sprachprogramm scherzhaft Eliza nennt. Seine Idee: Ein Computer soll sprechen lernen. "Dazu hatte ich ein Programm geschrieben, eine Parodie - das Gespräch mit einem Psychiater", erklärt Weizenbaum später. "Der Computer spielte die Rolle eines Psychiaters: Man konnte sich da hinsetzen mit einer Schreibmaschine und reintippen und das Ding hat dann geantwortet." Weizenbaums Programm durchsucht den eingetippten Text nach Schlüsselwörtern und baut anschließend aus Versatzstücken und Wiederholungen eine Antwort zusammen, die den vermeintlichen Klienten zum Weiterreden animiert.Obwohl nur eine einfache Software dahinter steckt, landet Weizenbaum einen Hit. Hemmungslos schütten die Menschen dem Computer ihr Herz aus. Manche Psychotherapeuten malen eine angeblich goldene Zukunft ihrer Zunft: Mit Eliza könnten hundert Patienten in einer Stunde betreut werden. Weizenbaum ist entsetzt über diese Maschinengläubigkeit: "War für ein Menschenbild haben denn diese Psychiater?" Er merkt, dass er etwas in Gang gebracht hat, ohne die Folgen zu bedenken. "Das war ein kritischer Punkt in meiner Karriere."
Es ist nicht der erste Wendepunkt in seinem Leben. Weizenbaum stammt aus einer jüdischen Familie. Er wird am 8. Januar 1923 geboren und wächst in Berlin auf, wo sein Vater eine Pelzschneiderei betreibt. 1936 flieht die Familie vor den Nazis in die USA - für den damals 13-Jährigen ein Abenteuer. Nach High School und Militärdienst studiert er 1947 Mathematik. Ein Jahr später baut er an der Wayne Universität einen der ersten digital arbeitenden Computer, bei dem alle Befehle über binäre Zahlenreihen aus Nullen und Einsen erfolgen. Ab 1955 arbeitet er bei einem Elektronikkonzern und entwirft Computersysteme für Bankgeschäfte. Acht Jahre später wird er als Professor ans MIT in Cambridge berufen. Dort entwickelt er das Spracherkennungsprogramm Eliza. Zur gleichen Zeit erlebt er den Einfluss der Militärs auf die Computerentwicklung. Weizenbaum gehört zu den Wissenschaftlern, die überlegen, wie die Datenübermittlung im Fall der atomaren Zerstörung aller Kommunikationswege gewährleistet werden könnte. Das damals entwickelte Arpa-Net wird zu einer Grundlage des World Wide Web (WWW). Weizenbaum wandelt sich zum "Dissidenten" und "Ketzer", wie er später in seinem Buch "Kurs auf den Eisberg" schreibt. Er wird zum Gegner einer unbekümmerten Fortschrittsgläubigkeit. Jedoch: "Ich bin kein Computerkritiker," insistiert Joseph Weizenbaum, "denn Computer können mit Kritik nichts anfangen. Ich bin Gesellschaftskritiker."
Stand: 21.01.06