"Keine Experimente, meine Damen und Herren", erklärt Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) während des Bundestagswahlkampfes im April 1961. "Keine Experimente, und alles andere wird sich dann finden." Der 85-Jährige, der seit zwölf Jahren im Amt ist, will unbedingt Kanzler bleiben. Zuvor hat er zwar seinen Wechsel ins Bundespräsidentenamt signalisiert. Doch als er feststellt, dass Parteifreund Ludwig Erhard sein Nachfolger werden soll, krebst Adenauer zurück. Dem gutmütigen Wirtschaftsminister traut er das Kanzleramt nicht zu.
Konfrontation zwischen Ost und West
Außenpolitisch befindet sich die Bundesrepublik in einer schwierigen Lage. Die Konfrontation zwischen Ost und West nimmt zu. Die Sowjetunion will Berlin als westlichen Vorposten mitten in der DDR nicht mehr hinnehmen und fordert ultimativ, die Stadt zu entmilitarisieren. Der neue US-Präsident John F. Kennedy wäre allerdings bei einer neuerlichen Blockade Berlins bereit, die Zufahrtswege freizukämpfen - zusammen mit der Bundeswehr, für die Adenauer auch noch Atomwaffen gefordert hat. Doch jetzt lavieren der Kanzler und seine Minister. Innenminister Gerhard Schröder (CDU) sagt, Berlin sei nicht zu halten und müsse in der Lüneburger Heide neu aufgebaut werden. Soweit gehen Adenauer und Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) nicht. Aber für die Freiheit Berlins einen Atomkrieg riskieren wollen sie auch nicht. Verschärfend hinzu kommt, dass Berlin das Schlupfloch für Flüchtlinge aus dem Osten ist. Ein Konfliktpotential, das jederzeit den Dritten Weltkrieg auslösen kann. "Heute wissen wir, wie nah die Welt damals am Atomkrieg und an der Vernichtung war", sagt der Berliner Historiker Daniel Koerfer.
CDU verliert absolute Mehrheit
Kennedy entspannt die Situation, indem er klar macht: Für uns zählt nur Westberlin. Doch für die DDR ist das nicht genug: Am 13. August 1961 beginnt der Mauerbau in Berlin - mitten im Bundestagswahlkampf. Adenauer und sein Herausforderer Willy Brandt (SPD) reagieren unterschiedlich. Brandt ist als Berliner Bürgermeister sofort zur Stelle und beruhigt die Massen. Adenauer kommt erst neun Tage nach dem Mauerbau nach Berlin, was ihm als Versagen ausgelegt wird. Bei der Wahl am 17. September 1961 verliert die CDU die absolute Mehrheit, bleibt aber stärkste Partei. Sie muss eine Koalition mit der FDP eingehen.
Ludwig Erhard als Nachfolger
Am 7. November wird Adenauer vom Parlament zum vierten Mal zum Kanzler gewählt. Mindestens 47 Abgeordnete der Koalition enthalten sich oder stimmen gegen Adenauer. Hintergrund dafür ist ein Komplott: Strauß will mit Hilfe von FDP-Chef Erich Mende selbst Kanzler werden. Zunächst soll nach diesem Plan Adenauer durch den populären Erhard ersetzt werden. Nach kurzer Zeit soll Strauß den als unfähig geltenden Erhard beerben. Doch der Plan geht nicht auf: Die FDP fällt um und wählt Adenauer mit. Dieser hat als erster öffentlich erklärt, er werde die neue Regierung bilden - und die FDP damit unter Zugzwang gesetzt. Adenauer kommt allerdings nicht ungerupft davon. Er muss schriftlich versichern, dass er im Lauf der Legislaturperiode sein Amt zur Verfügung stellt. 1963 ist es soweit: Ludwig Erhard wird sein Nachfolger.
Stand: 07.11.2006
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