Sayyid Qutbs Vater besitzt ein Stück Land im oberägyptischen Dorf Musha. Das macht ihn wohlhabend genug, um seinen 1906 geborenen Sohn nicht auf die ärmliche Koranschule, sondern auf die staatliche Grundschule zu schicken, die Schulgeld verlangt. Der kleine Sayyid lernt den Koran dennoch auswendig, heimlich und oft in der Nacht, wie er später in seinen Erinnerungen schreibt. Mit dem Koran im Kopf reist der 15-Jährige 1921 zu seinem Onkel in die Hauptstadt Kairo. Er absolviert eine Ausbildung zum Grundschullehrer, unterrichtet einige Jahre, bis er 1940 Beamter im Bildungsministerium wird.Sayyid Qutbs Karriere passt zu der Orientierung Ägyptens am westlichen Fortschritt. Das Land wird zu dieser Zeit von König Faruk regiert, ist aber von den Engländern abhängig. Der westliche Lebensstil und die krasse Armut prallen vor allem in Kairo aufeinander. Qutb sucht eine Lösung im Islam. In Artikeln und Büchern propagiert er eine "ausgewogene Gesellschaft", die auf der Grundlage des islamischen Rechts soziale Gerechtigkeit garantiere. Er will staatliche Mindestlöhne, geregelte Arbeitszeiten, kostenlose Schulen und Sozialversicherungen - aber nicht den westlichen Liberalismus.
Bald reagiert der Staat auf Qutb: Er verbietet dessen Bücher und schickt den Beamten zwangsweise in die USA. Der Fortbildungs-Aufenthalt soll den inzwischen einflussreichen Qutb von seinen Ideen abbringen. Aber während seines zweijährigen Studiums an mehreren amerikanischen Universitäten radikalisiert sich Qutbs Ablehnung des westlichen Lebensstils noch. Wieder zurück in Kairo, schließt sich Qutb ab 1950 der oppositionellen "Muslimbruderschaft" an und ruft zum bewaffneten Kampf gegen die britischen Soldaten im Land auf. Als 1952 die Militärs um Gamal Abdel Nasser putschen und die Republik ausrufen, ist Qutb nur kurz erfreut, denn Nassers arabischer Sozialismus stützt sich nicht auf den Islam. 1954 entgeht Präsident Nasser nur knapp einem Attentat. Mit vielen Muslimbrüdern wird Qutb verhaftet und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. In der Haft schreibt er einen Korankommentar, in dem er den Dschihad, den Heiligen Krieg, als Mittel anpreist, um irgendwann einmal "Gottes Königreich auf Erden zu errichten".1964 wird Qutb vorzeitig aus der Haft entlassen, aber schon acht Monate später wieder verhaftet. Man wirft ihm vor, der Kopf einer Verschwörung gegen Nasser zu sein. Am 29. August 1966 wird Sayyid Qutb hingerichtet. Die Muslimbruderschaft besteht weiter: 1978 ermorden ihr nahestehende Offiziere den Präsidenten Anwar El Sadat. Der heutige Präsident Husni Mubarak geht mit Notstandsgesetzen gegen die islamistische Opposition in Ägypten vor.
Stand: 29.08.06