Am 20. September 1407 bewirtet die Bischofsstadt Hildesheim ungewöhnliche Gäste: "Tataren". Während deren Papiere auf der Schreibstube geprüft werden, wird ihnen Wein ausgeschenkt - im Wert eines halben Stübers, einer damals üblichen Münzeinheit. Vermerkt wird die Begebenheit in den "Kämmereirechnungen" der Stadt. Die Notiz gilt als erste urkundliche Erwähnung von Sinti und Roma in Deutschland. Als "Tataren" bezeichnet man damals in Norddeutschland, den Niederlanden und Skandinavien die "Zigeuner". Heute gibt es über die Verwendung des Begriffs Zigeuner unterschiedliche Auffassungen: Während ihn der "Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma" als diskriminierend ablehnt, setzt sich die "Sinti Allianz Deutschland" für eine neutrale Verwendung der Bezeichnung Zigeuner ein, da damit auch andere Zigeunervölker wie Manusch und Kale einbezogen würden.
Der Name Sinti stammt vermutlich von der indischen Provinz Sindh. Von dort ziehen sie im 14. und 15. Jahrhundert nach Mitteleuropa. Roma haben den gleichen indischen Ursprung, gelangen jedoch erst rund 400 Jahre später hierher. Gemeinsam haben sie die Sprache Romanes - und die Erfahrung der Ausgrenzung. Nur kurze Zeit werden sie als Kesselflicker, Korbflechter, Hufschmiede und Pferdehändler anerkannt und geschätzt. Ende des 15. Jahrhunderts werden Sinti und Roma im Deutschen Reich als vogelfrei erklärt. Fortan darf jeder einen "Zigeuner" töten, wenn er ihn auf seinem Boden trifft.
Als Vater des Antiziganismus gilt der Göttinger Professor Heinrich Moritz Grellmann, der 1783 in einem Buch die Sinti als "ein verdorbenes, wildes, faules, schmutziges, rohes, ungesittetes, lüsternes, zügelloses und wollüstiges, orientalisches, ja negerartiges Volk beziehungsweise Rasse" beschreibt. Diese Vorurteile werden von anderen pseudowissenschaftlichen Zigeunerforschern abgeschrieben und bereiten das Feld für die Nationalsozialisten. Wie die Juden werden Sinti und Roma von den Nazis als Angehörige einer angeblich "minderwertigen Rasse" mit vererbbaren negativen Eigenschaften angesehen. Während des Holocausts werden rund eine halbe Million "Zigeuner" ermordet. Heute leben nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen acht bis zehn Millionen Sinti und Roma auf dem europäischen Kontinent - teilweise in prekären Verhältnissen am Rand der Gesellschaft.
Stand: 20.09.07