Süditalien, 28. Dezember 1908, gegen 5.20 Uhr: In der Region um die Straße von Messina, der Meerenge zwischen Kalabrien und Sizilien, bebt die Erde. "Etwas riss mich aus dem Schlaf: Ich weiß nicht, ob es die Stimme meiner Frau war, schrill und ängstlich, oder der höllische Lärm unseres Hauses, das dabei war einzustürzen", erinnert sich Luigi Parmeggiani, damals Professor an der Universität von Messina auf der Insel Sizilien. Er wird mit seiner Frau und dem acht Jahre alten Sohn gerettet. Die Tochter in der Wiege überlebt nicht. In Messina sterben bei der Naturkatastrophe mindestens 65.000 Menschen - fast die Hälfte der Einwohner der Stadt. Die sogenannte Palazzata, eine eineinhalb Kilometer lange historische Häuserzeile an der Hafenpromenade, ist eingestürzt. Auch das barocke Rathaus dahinter liegt in Trümmern, so wie die Seidenmanufakturen, Handelshäuser und Banken.
"Die Hauptschäden richtete das Erdbeben selbst an, aber da es sich in unmittelbarer Küstennähe zutrug, löste es auch eine Bewegung des Meeresgrundes - also ein Seebeben - aus", erklärt Erdbebenforscher Ezio Faccioli von der Technischen Hochschule Mailand. "Dieses Seebeben wiederum verursachte anomal hohe Wellen, die wir mit dem japanischen Begriff Tsunami bezeichnen." Südlich von Messina spülen die Wassermassen ganze Dörfer weg. Auf dem italienischen Festland, in Kalabrien, ist die Lage ebenfalls dramatisch. Allein in Reggio Calabria, der Hauptstadt der Region, kommen rund 15.000 der 45.000 Einwohner um. Auch in der Umgebung werden Dörfer zerstört.
Erste Hilfe leisten die Besatzungen russischer und britischer Marineschiffe. Später treffen Spenden aus ganz Europa und Übersee ein. Damit werden Barackenstädte gebaut, die den Überlebenden noch jahrzehntelang als Unterkünfte dienen. Der Aufbau von Messina und Reggio Calabria kommt nur schleppend voran. "Der Wiederaufbau in Erdbebengebieten ist in Italien immer problematisch", sagt Historikerin Emanuela Guidoboni vom Institut für Geophysik in Bologna. Dabei gehe es meist nicht ganz sauber zu. So auch nach dem Beben von 1908 in Messina: Ohne entsprechende Kontakte sei es schwierig gewesen, einen günstigen Kredit zu bekommen. Erdbebengebiete hat Italien viele: Das Land liegt, vereinfacht gesagt, wie eingeklemmt zwischen zwei Erdplatten, der afrikanischen und der eurasischen, die sich aufeinander zu bewegen. Der Druck, der dabei entsteht, ist enorm. Die Folgen sind verheerend. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird beispielsweise Kalabrien von einer ganzen Reihe von Erdbeben erschüttert: Dem schweren Beben von 1908 in Messina gingen 1894, 1904 und 1907 bereits drei Beben voraus.
Stand: 28.12.08