Papst Paul VI. hat den Ruf eines Reformers: Von seinem Amtsantritt im Juni 1963 bis Ende 1965 leitet er das Zweite Vatikanische Konzil, das den Katholizismus modernisiert. Er schafft den Index verbotener Bücher ab, hebt den Kirchenausschluss der Orthodoxen auf, reist zur UNO nach New York, führt Verhandlungen mit den Ostblockstaaten. Diesen Ruf als "moderner Papst" verliert Paul VI. am 25. Juli 1968. An diesem Tag veröffentlicht er die Enzyklika (Rundschreiben) "Humanae vitae " ("Von der menschlichen Würde"). Ab jetzt hat er einen Spitznamen: "Pillen-Paul".
Das Konzil hatte die Frage der Empfängnisverhütung offen gelassen, denn die 1960 auf den Markt gekommene Pille hatte die Diskussionsgrundlage völlig verändert. Paul VI. setzt zwei Kommissionen zu Klärung der moralischen Fragen um die Geburtenregelung ein: eine der Fachleute und eine der Bischöfe. Beide kommen mehrheitlich zu dem Ergebnis, die Pille könne als Mittel verantwortlicher Familienplanung akzeptiert werden. Aber der Papst schließt sich dem Minderheitsvotum an. Er könne von der Verurteilung künstlicher Empfängnisverhütung durch seine Vorgänger nicht abgehen, erklärt Paul.
Die Kernaussage von "Humanae vitae" lautet: Künstliche Verhütungsmittel verstoßen gegen die natürliche Ausrichtung der Sexualität auf die Fortpflanzung. Erlaubt ist katholischen Ehepaaren deshalb nur die sogenannte "natürliche Familienplanung", bei der per Temperaturmessung die unfruchtbaren Tage der Frau bestimmt und zum Geschlechtsverkehr genutzt werden.Mitten im unruhigen Jahr 1968 löst das einen Sturm der Entrüstung auch in der Kirche aus: Theologen kritisieren den künstlichen Begriff des Papstes von "natürlich": Warum sollte eine komplizierte Methode der Bestimmung unfruchtbarer Tage die Natur nicht unzulässig austricksen, ein chemisches oder mechanisches Mittel aber wohl? Katholische Frauen stoßen sich vor allem an der Bevormundung ihrer intimen Entscheidungen. Deshalb erklärt die Deutsche Bischofskonferenz Ende August 1968 in ihrer "Königsteiner Erklärung", dass Katholiken die päpstliche Entscheidung zwar ernsthaft erwägen, aber dann eine eigene, unter Umständen auch abweichende Gewissensentscheidung treffen müssten. Den Glaubwürdigkeits-Verlust des Vatikans in Sachen Sexualmoral verhindert das nicht.
Stand: 25.07.08