"Anders-Land" nennen die Norweger ihre Heimat, und vieles ist anders bei ihnen als in anderen europäischen Staaten: Der Lebensstandard ist der höchste der Welt, die Staatskasse prall gefüllt, der Stolz auf das eigene Gesellschaftsmodell groß. 1994 werden die Norweger gefragt, ob das Land der Europäischen Union beitreten soll. "Sie sind uns willkommen in unserer Europäischen Union, und Ihr Beitrag wird uns allen wichtig sein für die Weiterentwicklung von Demokratie und sozialem Fortschritt in Europa", wirbt Egon Klepsch, Präsident des Europaparlaments. Doch Norwegen sagt am 28. November 1994 "Nei" zum Beitritt. Die Neinsager erreichen, ähnlich wie bei einer ersten Abstimmung 22 Jahre zuvor, mit 52 Prozent eine knappe Mehrheit.
Erst seit 1905 ist Norwegen ein eigenständiger Staat, und diese Unabhängigkeit will die Mehrheit der Norweger nicht zugunsten Brüssels aufgeben. Vor allem Frauen, junge Menschen, Bauern, Fischer und Angestellte des öffentlichen Dienstes lehnen einen EU-Beitritt ab, sie befürchten dadurch finanzielle Einbußen. Denn im Vergleich mit den norwegischen Fördertöpfen wirken die Brüsseler Subventionskassen wie die von armen Verwandten. Der Reichtum des skandinavischen Landes speist sich vor allem aus den Erträgen der staatlichen Erdgas- und Erdölwirtschaft. "Norwegen ist wohlhabend, Norwegen ist nicht bedroht von außen, fühlt sich nicht bedroht, und man sagt, warum sollen wir unsere Unabhängigkeit abgeben, wenn wir keine großen Probleme haben, die wir lösen müssen", fasst Journalist Nils Morten Udgaard die Überlegungen vieler seiner Landsleute zusammen.Die EU-Befürworter – allen voran Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland – warnen davor, den Zug nach Europa zu verpassen. Doch die teils düsteren Szenarien eines isolierten und wirtschaftlich ramponierten Nicht-EU-Mitglieds Norwegen bestätigen sich nicht: Für das Jahr 2004 erwarten Experten ein Wirtschaftswachstum von zwei Prozent und erneut einen Haushaltsüberschuss.Stand: 28.11.04