Stichtag

19. April 2009 - Vor 320 Jahren: Königin Christina von Schweden stirbt

Das Gemetzel beginnt im Morgengrauen. Hin und her wiegt der Kampf zwischen dem kaiserlich-katholischen Heer des Generalissimus Wallenstein und den protestantischen, überwiegend schwedischen Truppen unter Befehl ihres Königs Gustav II. Adolf. Am Abend des 16. November 1632 hat die Schlacht bei Lützen, südwestlich von Leipzig, insgesamt rund 8.000 Todesopfer gefordert. Unter ihnen ist auch Gustav Adolf, der Löwe des Nordens. In Stockholm tritt unverzüglich der schwedische Reichsrat zusammen und wählt Christina, die erst sechsjährige Tochter des gefallenen Königs, zur Thronfolgerin.Damit betritt eine Monarchin die europäische Bühne, deren heutiges Bild wesentlich von der verklärenden Darstellung durch Greta Garbo in dem Hollywoodfilm von 1933 geprägt ist. Zeitgenossen und nachfolgenden Historiker dagegen erscheint die 1626 geborene Christina als bizarre, rätselhafte Persönlichkeit. Sie fällt nicht nur durch große Bildung und politisches Geschick auf, sondern sorgt durch ihren für eine Frau des 17. Jahrhunderts skandalös exzentrischen Lebensstil für Furore.

Mit Erreichen ihrer Volljährigkeit 1644 übernimmt Christina die Regentschaft von ihrem Erzieher, Schwedens Kanzler Axel Oxenstierna. Sie gilt als äußerst klug und fleißig, aber ebenso als ungezügelter, wenig mädchenhafter Wildfang. Frei sein, reiten und jagen bedeuten ihr wesentlich mehr als Etikette und Kleidung. Doch auf dem Thron erweist sich Gustav Adolfs Tochter schnell als energische Herrscherin und pragmatische Politikerin. Maßgeblich ist Christina an der Beendigung des verheerenden Dreißigjährigen Kriegs beteilt - und profitiert erheblich von den Friedensbeschlüssen, die 1648 in Münster und Osnabrück gefasst werden. Beflügelt durch ihre freigeistig-unkonventionelle Lebensart entwickelt sich Stockholm zum Anziehungspunkt für bedeutende Künstler und Gelehrte. Weder vor noch nach Christinas Regentschaft hat Schweden eine derartige kulturelle Blüte erlebt.

Vehement aber wehrt sich Christina dagegen, zum Fortbestand der Dynastie eine Ehe einzugehen. Nach zehn Jahren erfolgreicher und unumstrittener Regentschaft entscheidet sie sich 1654 für das Undenkbare: Sie dankt ab und überlässt die Krone ihrem Vetter Karl-Gustav. Doch für die Schweden kommt es noch viel schlimmer. Eben noch Herrscherin über die größte protestantische Nation ihrer Zeit, konvertiert Christina zum katholischen Glauben und lässt sich 1655 in Rom, der Kapitale des Erzfeindes, nieder. Bis zu ihrem Tod am 19. April 1689 erwirbt sie sich als diplomatische Vermittlerin zwischen dem Vatikan und den Staaten Europas hohes Ansehen. Über die Gründe für Thronverzicht und Religionswechsel wird sie ein Leben lang schweigen. Noch bis ins 20. Jahrhundert finden die Schweden für den unerhörten Lebensentwurf ihrer Königin nur eine Erklärung: Sie war wohl keine Frau. Erst eine Öffnung ihres Grabes im Petersdom in den 1960er Jahren beseitigt alle Zweifel an der Weiblichkeit Christinas von Schweden.

Stand: 19.04.09