Der Schraubverschluss, das ist die eine, revolutionäre Neuerung der Perlenflasche, die ganz korrekt ja Normbrunnenflasche heißt. Die alten Flaschen haben noch Hebelverschlüsse mit einem Kopf aus Keramik. Bei ihrer Befüllung muss jeder einzeln von Hand geschlossen werden. Das erledigt beim neuen Schraubverschluss, einer in den USA eingekauften Patententwicklung, eine Maschine in deutlich höherem Tempo. Der zweite Clou ist der typisch braune Kunststoffkasten, in dem sie verkauft wird und der die noch weit verbreiteten Kisten aus Holz endgültig vom Markt vertreibt. Am 8. August 1969 wird die Einführung der Normbrunnenflasche von annähernd 200 Mineralwasser-Abfüllern in der Genossenschaft Deutscher Brunnen (GDB) beschlossen. Tilman Kerstiens, Geschäftsführer des Tönnissteiner Brunnen, bewertet diese Neuerung aus heutiger Sicht als "einen Quantensprung für die gesamte Mineralbrunnenbranche".
Sie ist aus weißem Glas, mit einem kreisrunden Boden von exakt 7,75 Zentimeter Durchmesser. Ihr zylindrischer Körper mit dem Papieretikett verjüngt sich grifffreudig in der Mitte, geht über in eine glockenartige, mit 230 gläsernen Tropfen besetzte Schwellung und mündet in einen kleinen Zylinder mit Gewinde für den Aluminium-Schraubverschluss. Auf einen Schlag macht sie die rund 300 unterschiedlichen Flaschentypen der vielen mittelständischen Sprudel- und Limonadehersteller zu Altglas. Allein 1970, ihrem ersten Produktionsjahr, werden 73 Millionen Normbrunnenflaschen in Umlauf gebracht. Rund 50 Mal pendelt jede zwischen Mineralbrunnen, Getränkehandel und Endverbraucher, bevor sie aus dem Verkehr gezogen und wieder eingeschmolzen wird. Die deutschen Genossenschaftsbrunnen begründen damit das weltweit größte System für Mehrwegverpackungen. Im Gegensatz zu den alten Bügelflaschen, die meist mit in Glas und Keramikkopf eingebrannten Logos hergestellt wurden, sieht jede Normbrunnenflasche ohne Etikett aus wie die andere. Weil sie unabhängig vom Verkaufsort überall zurückgenommen werden kann, entfällt für die GDB-Betriebe endlich die ebenso zeitraubende wie kostenträchtige Mühe, fremde Flaschen zu sortieren und untereinander austauschen zu müssen.
Konzipiert wird der Klassiker des Industrie-Designs von Günter Kupitz, zu dessen über 1.000 Entwürfen auch die Pril-Spülmittelflasche, Besteck-Kollektionen von WMF und der Hähnchengrill von Wienerwald gehören. Kupitz' Flasche mit den charakteristischen Perlen, zu denen er sich durch die prickelnden Kohlensäure-Bläschen im Mineralwasser inspirieren ließ, kommt bei den Kunden bestens an. Mehrfach mit Design-Preisen ausgezeichnet, eröffnet sie der Branche moderne, zukunftssichernde Marketing-Strukturen. Echte Konkurrenz bekommt die Normbrunnenflasche erst Jahrzehnte später durch ihre deutlich leichtere Schwester aus PET-Kunststoff. Seit Ende der 90er Jahre für Mineralwasser in Gebrauch, ist inzwischen jede zweite verkaufte Sprudelflasche aus Plastik. Tönnissteiner-Geschäftsführer Tönnies glaubt trotzdem an eine Zukunft für die Echte aus Glas, die zum Inbegriff für hochwertiges Mineralwasser geworden ist: "Einen guten Rotwein trinke ich ja auch nicht aus dem Tetrapack."
Stand: 08.08.09