Zwei Männer stürzen ohne Fallschirm aus 8.000 Meter Höhe und landen in London. So beginnt der Roman "Die satanischen Verse" des britisch-indischen Schriftstellers Salman Rushdie. In der 1988 erschienen Immigrantensaga erleben die beiden Romanfiguren auf britischem Boden eine Wandlung: Aus Bollywood-Schauspieler Gibril wird Erzengel Gabriel. Aus dem Synchronsprecher Saladin, dem "Mann der tausend Stimmen", wird der leibhaftige Teufel. Nach ihrer Landung erleben die beiden den Alltag indischer Immigranten und werden brutal mit Polizeiwillkür und Rassismus konfrontiert."Der Roman ist eine Tragödie oder eine Tragikomödie über zwei Personen in der Krise", sagt Rushdie. Das Buch handele davon, dass alles in Frage gestellt werde, wenn Menschen von einer Kultur in eine andere wechseln. Eine Erfahrung, die Rushdie teilt: Er wird 1947 im indischen Bombay geboren, 1960 zieht seine Familie nach Pakistan und mit 14 Jahren wird er nach England geschickt. Seither ist, sagt Rushdie, "die Frage der Identität ein großes Thema für mich".
Proteste gegen "Die satanischen Verse"
Im Dezember 1988 kommt es in der nordenglischen Stadt Bradford zu Protesten gegen "Die satanischen Verse". Die Stadt ist ein Zentrum indischer und pakistanischer Einwanderer. Dort lebende Muslime fühlen sich provoziert. Denn Atheist Rushdie hat nicht nur aus Erzengel Gabriel eine Romanfigur gemacht. Diese Kunstfigur jubelt dem Propheten Mohammed auch noch Verse unter, die eigentlich vom Satan stammen. Rushdie hat sich dazu von einer ähnlich lautenden, historisch aber umstrittenen Episode inspirieren lassen. Der Autor geht noch weiter: In seinem Buch gibt er zwölf Huren die Namen von Mohammeds Frauen. In Indien und Pakistan kommt es ebenfalls zu gewalttätigen Demonstrationen - obwohl Rushdies Roman dort gar nicht veröffentlicht wird. Am 14. Februar 1989 schaltet sich der greise iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini über Radio Teheran ein: "Ich setze das stolze Volk der Moslems in aller Welt davon in Kenntnis, dass der Autor des Buches 'Die satanischen Verse' - das sich gegen den Islam, den Propheten und den Koran richtet - und alle an seiner Publikation Beteiligten, zum Tod verurteilt werden." Ein Kopfgeld wird ausgesetzt - eine Million Dollar für ausländische, drei Millionen für iranische Vollstrecker. "Der schwarze Pfeil des Todes ist abgeschossen und auf dem Weg zum Ziel", so Khomeini.
Rushdie taucht unter und wehrt sich gegen den Vorwurf der Gotteslästerung: "In meinen Augen ist Blasphemie nur einer dieser plumpen faschistischen Begriffe, mit denen man den Leuten den Mund verbietet." Khomeinis Fatwa, das religiöse Rechtsgutachten mit dem Mordaufruf, sorgt für Angst. Im März 1989 sagt Verleger Reinhold Neven DuMont die deutsche Übersetzung ab. Im Herbst 1989 erscheint das Buch dennoch in deutscher Sprache. DuMont hat zusammen mit Autoren, Politikern und Institutionen dafür eigens den Verlag "Artikel 19" gegründet. So wird das Risiko auf mehrere Schultern verteilt. Der Name des Verlages erinnert an das Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Aufgrund der anhaltenden Bedrohung distanziert sich Rushdie Ende 1990 von seinem Roman und bekennt sich zum Islam - ein Fehler, wie er später sagt. Die Situation verbessert sich durch sein Zugeständnis nicht. Teheran erhöht das Kopfgeld. Im Juli 1991 verüben Unbekannte Anschläge auf den italienischen und den japanischen Übersetzer. Letzterer erliegt seinen Verletzungen. Erst Ende der 90er Jahre distanziert sich die iranische Regierung von Khomeinis Todesurteil. Rushdie, der jahrelang unter Polizeischutz im Verborgenen gelebt hat, wohnt heute in New York.
Stand: 14.02.09