Ernst Litfaß ärgert sich. Überall in Berlin hängen Plakate und Werbezettel herum. Die "Hautkrankheit der Städte" wuchert an Laternenmasten, Baumstämmen und Häuserwänden. "Damit endlich einmal allen Übelständen abgeholfen werde, die aus dem bisher beobachteten Verfahren beim Anheften der Zettel erwuchsen", stellt der Verleger zu Testzwecken kurzerhand eine "Anschlagsäule" mit Werbebotschaften und Ankündigungen auf seinem eigenen Grundstück auf.Als er sich vom positiven Urteil seiner Zeitgenossen überzeugt hat, bietet Litfaß an, seine Erfindung in ganz Berlin zu platzieren. Vor allem Polizeipräsident Karl Ludwig von Hinckeldey ist begeistert. Immerhin kann so auch den regierungsfeindlichen Plakaten, die sich im Dschungelwildwuchs der harmlosen Reklame verbergen, Einhalt geboten werden. Im Sommer 1855 wird das erste offizielle Anschlagsäule mit viel Rummel und volkstümlicher Polka-Musik eingeweiht.
Ernst Litfaß wird 1816 als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Druckereibesitzers in Berlin geboren. In seiner Jugend tingelt er als Schauspieler unter dem Namen Herr Flodoardo durch die Provinz, später versucht er sich mit mäßigem Erfolg an Lyrik, Novellen und Reiseberichten. 1844 übernimmt er den Betrieb, der sich vor allem auch über den Druck von Werbeplakaten finanziert, und modernisiert ihn mithilfe von dampfbetriebenen Maschinen. Während der deutschen Revolution von 1848 gibt er die kritische Satirezeitschrift "Berliner Krakehler" heraus. Zudem gründet er mit dem "Tages-Telegraph" Deutschlands erstes Stadtmagazin mit Veranstaltungstipps und Restaurantempfehlungen und betätigt sich als Event-Manager.
Seine Anschlagsäulen stellt Litfaß der Stadt kostenlos zur Verfügung. Geld verdient er mit der Vermietung ihrer Werbeflächen - ein Erlösmodell, das bis heute Bestand hat. Von Berlin aus zieht die Idee der schon bald "Litfaßsäule" genannten Erfindung um die Welt. Zahlreiche Couplets und Gedichte feiern sie: "Mit Lust bleibt das Auge jetzt weilen, / Was Litfaß gestellt uns hierher! / Er baut sich ein Denkmall von Säulen! / Na, Litfaß, was willst du noch mehr?" heißt es in einem.Ernst Litfaß stirbt am 27. Dezember 1874 in Wiesbaden. Mit ihm verliert die Welt einen der kreativsten Geschäftsleute des 19. Jahrhunderts.
Stand: 27.12.09