Er ist ein ungewolltes Kind: Der französische Regisseur François Truffaut wird am 6. Februar 1932 unehelich in Paris geboren. Seine 19-jährige Mutter Janine de Montferrand bekommt den Sohn in aller Heimlichkeit und übergibt ihn einer Amme. Als sie 18 Monate später den Bauzeichner Roland Truffaut heiratet, erhält François zwar dessen Namen, aber keinen Platz in der elterlichen Wohnung. Er wächst bei seiner Großmutter auf. Erst nach deren Tod kommt François als Zehnjähriger zu Janine. Er bleibt meist sich selbst überlassen und muss auf einer Klappbank im Flur schlafen. Vor der Lieblosigkeit seiner Eltern flüchtet François ins Kino. Dafür schwänzt er die Schule, lügt, stiehlt und landet in einer Besserungsanstalt. Schließlich wird aus dem vernachlässigten Kinde, das auf der Leinwand Trost sucht, ein Erwachsener, dem der Film über alles geht: "Ein Privatleben existiert für mich nicht. Ich kenne nur Kino, Kino, Kino", sagt Truffaut später.
Der professionelle Zugang zum Kino wird Truffaut von André Bazin eröffnet: Der Filmkritiker und Chefredakteur der Pariser Filmzeitschrift "Cahiers du Cinéma" ("Kinohefte") nimmt den jungen Rebell in seinem Haus auf und ermuntert ihn zum Schreiben. Schon mit Anfang 20 ist Truffaut ein gefürchteter Kritiker. Zusammen mit Kollegen wie Jean-Luc Godard, Éric Rohmer, Claude Chabrol und Jacques Rivette fordert er einen neuen "Film der Autoren" - autobiographisch und wirklichkeitsnah. "Politik der Autoren bedeutet: totale Individualisierung", sagt Truffaut. Ein Film soll die deutliche Handschrift des Regisseurs tragen. Truffaut setzt seine Ansprüche selbst um. Nach einem erfolgreichen Kurzfilm wagt er sich an sein erstes großes Projekt: "Sie küssten und sie schlugen ihn" wird auf dem Festival von Cannes 1959 gefeiert - und gilt als erster Film der "Nouvelle Vague" ("Neue Welle"). Die Hauptfigur Antoine Doinel wird von Schauspieler Jean-Pierre Léaud verkörpert, den Truffaut als 14-Jährigen entdeckt hat und mit dem er in den folgenden 25 Jahren noch vier weitere Filme über Doinel dreht - eine Entwicklungsgeschichte, angelehnt ans eigene Leben. Doinel ist das ewige Kind, unstet, unzuverlässig, unüberlegt, immer auf der Suche nach Liebe - wie der Regisseur selbst.
Liebe ist das zentrale Thema in fast allen Filmen Truffauts. "Jules und Jim", eines seiner Meisterwerke, erzählt von einer Frau zwischen zwei Männern. Was ausgelassen beginnt, endet tragisch: Catherine, gespielt von Jeanne Moreau, rast in ihrem Auto mit Jim in den Abgrund. So ist es meist bei Truffaut: Seine 21 Filme haben alle einen eigenen Touch: verspielt, zärtlich, ironisch, heiter über einem dunklen Abgrund. In "La Nuit Américaine" ("Amerikanische Nacht") von 1973 spielt Truffaut selbst den Regisseur Ferrand, der seinen liebeskranken Hauptdarsteller tröstet: "Leute wie wir können nur bei der Arbeit glücklich sein. Bei der Arbeit fürs Kino." Auch privat spielt die Liebe bei Truffaut eine große Rolle - zumal er sich immer wieder in seine Hauptdarstellerinnen verliebt. Auf der Liste seiner Liebschaften sind neben vielen anderen auch Jeanne Moreau, Françoise Dorléac und ihre Schwester Catherine Deneuve, Leslie Caron, Jacqueline Bisset, schließlich Fanny Ardant. Mit allen Frauen bleibt er eng befreundet, wenn die Liebe vorüber ist. Dabei ist Truffaut kein Don Juan: Mitarbeiter und Freunde beschreiben ihn sogar als extrem schüchtern, unsicher, mit einem Hang zu Depressionen und Melancholie.1983 wird bei Truffaut ein Hirntumor festgestellt. Ein Jahr später stirbt der Regisseur am 21. Oktober 1984 im Alter von 52 Jahren in Neuilly bei Paris. Sogar seine Beerdigung ist großes Kino: All die schönen Frauen, die er geliebt hat, sind an seinem Grab versammelt. Auch sein Alter Ego Jean-Pierre Léaud ist da.
Stand: 21.10.09