Stichtag

01. Juni 2009 - Vor 215 Jahren: Allgemeines Preußisches Landrecht tritt in Kraft

Am 4. Mai 1779 schreibt ein Mühlenbesitzer aus der Neumark östlich der Oder an den preußischen König: Der Müller mit dem Namen Arnold beschwert sich bei Friedrich dem Großen über ein Gerichtsurteil. Der Hintergrund: Der Bach, an dem die Mühle steht, hat plötzlich kein Wasser mehr. Die Ursache dafür sei ein Teich, den ein Grundherr für seine Karpfenzucht angelegt habe, so Arnold. Er weigerte sich deshalb, weiter die Pacht für seine Mühle zu zahlen. Der Fall kommt vor Gericht, und die Juristen entscheiden für den Grundherrn. Der Müller muss weiter zahlen. Am Ende wird die Mühle zwangsversteigert. Friedrich der Große schlägt sich auf die Seite von Arnold und hebt das Urteil auf. Die verantwortlichen Richter nimmt er in Festungshaft. Der König nimmt den Fall zum Anlass, endlich in Angriff zu nehmen, was er schon lange plant: ein Gesetzbuch, das jeden nur denkbaren Streitfall regelt. Die Rechtssprechung würde dann - so die königliche Vorstellung - fast automatisch ablaufen. Richter und Anwälte wären nahezu überflüssig. Diese kann Friedrich ohnehin nicht leiden.

Juristen hatten Friedrichs Justizreform bisher immer skeptisch gesehen, da sie zu Recht annahmen, dass damit ihr Einfluss beschnitten würde. Im Müller-Arnold-Fall aber erlebten sie, dass der König sie sogar hinter Gitter bringen kann. Nun sind auch die Juristen an einem Gesetzbuch interessiert, das unter anderem auch die Rechte und Pflichten des Königs festlegen soll. Friedrich beauftragt Justiz- und Verwaltungsbeamte mit der Ausarbeitung der ersten europäischen Kodifikation - so der Fachausdruck für eine schriftliche Sammlung von Rechtsvorschriften. Das umfangreiche Werk nimmt viel Zeit in Anspruch. Friedrich der Große ist längst tot, als das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten am 1. Juni 1794 unter seinem Neffen und Nachfolger Friedrich Wilhelm II. endlich in Kraft tritt. 20.000 Paragraphen regeln nun den Alltag der Untertanen: Eine gesunde Mutter ist zum Stillen ihres Kindes verpflichtet; vor Weihnachten dürfen Schafe nicht auf die Weide getrieben werden; Bauern steht morgens, mittags und nachmittags je eine Ruhestunde zu. Auch der König wird neuerdings an Regeln gebunden: Er hat das Recht, Kriege zu führen; ein Todesurteil zu fällen; Münzen zu prägen.

Doch fünf Jahre nach der Ausrufung der Menschenrechte in Frankreich 1789 sind im preußischen Königreich noch längst nicht alle gleich. Das Allgemeine Landrecht verankert altes ständisches Recht. Die Geburt entscheidet, was jemand darf und was nicht. Es gibt Vorschriften, die jeweils nur für den Adel, den Bauernstand oder das Gesinde gelten. Erst im 19. Jahrhundert werden viele Adelsprivilegien und Standesbeschränkungen aufgehoben: Die Gewerbefreiheit wird eingeführt; die Prügelstrafe verboten; auch ein Nicht-Adliger darf ein Rittergut kaufen. Dennoch ist das Preußische Landrecht von 1794 ein Meilenstein in der Rechtsgeschichte, sagt Historikerin Monika Wienfort von der Technischen Universität Berlin: "Es gab überhaupt kein vollständiges Gesetzbuch vorher."

Stand: 01.06.09