Stichtag

22. Mai 2010 - Vor 125 Jahren: Nationaldichter Victor Hugo stirbt

"Vive Victor Hugo!" schreit die Menge, als der Leichenzug vorüber fährt. Victor Hugo war am 22. Mai 1885 an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben, am Tag der Beerdigung säumen rund zwei Millionen Menschen die Straßen von Paris. Sie steigen auf Bäume, Dächer und Schornsteine, um sich von ihrem Nationaldichter zu verabschieden. Die Trikoloren in allen Gemeinden des Landes stehen auf Halbmast. Begraben wird er im Panthéon, zwischen Jean-Jacques Rousseau und Voltaire. Ein Platz, an dem sich Hugo wohlfühlen dürfte, verstand er sich doch als der Voltaire des 19. Jahrhunderts.

Sozialkritisches Werk

Geboren wird Victor-Marie Hugo am 26. Februar 1802 in Besançon. Früh lernt er den Krieg kennen: Sein Vater ist ein General Napoleons, der mit seiner Familie über die Kriegsschauplätze Europas zieht. Als junger Mann schreibt Hugo erste Gedichte und erhält bereits dafür vom König eine lebenslange Pension. Er schreibt viel, gilt bald als produktivster romantischer Dichter Frankreichs. 20 Gedichtsammlungen entstehen, Dramen wie "Hernani" (1830) und "Ruy Blas" (1838), und die sozialkritischen Romane "Notre-Dame de Paris - Der Glöckner von Notre-Dame" (1831) und "Les Misérables - Die Elenden" (1845 - 1862). Seine Texte sind nicht immer frei von sozialer Rührseligkeit, romantischer Schwärmerei und einfacher Symbolik. Einige puristische Kollegen, wie Charles Baudelaire und Gustave Flaubert, verabscheuen den predigthaften Stil in "Die Elenden". Doch Hugos Bücher gelten als Hauptwerke der klassischen französischen Dichtung, zu vergleichen mit dem Werk Goethes im deutschsprachigen Raum.

Kampf für die Republik

Hugo, der seine Laufbahn als Royalist und Konservativer begann, wird im Laufe seiner 70 Jahre dauernden schriftstellerischen Tätigkeit zum Vordenker der Republik, zum Anwalt des Volkes. Als Schriftsteller und Politiker kämpft er gegen die Sklaverei, die Todesstrafe, die absolute Gewalt; und für die Freiheit der Presse, die Gleichberechtigung der Frau und die Vereinigten Staaten von Europa. "Ich bin Sohn dieses Jahrhunderts […] Ich hasse die Unterdrückung mit abgrundtiefem Hass", schreibt er. Er erlebt mehrere politische Umbrüche, die Restauration, den Bürgerkönig Louis-Philippe und Kaiser Napoleon III., der ihn nötigt, das Land zu verlassen. Hugo lebt 20 Jahre im Exil in Belgien und auf den englischen Kanalinseln. Auch nach seinem Tod im Alter von 83 Jahren respektieren Schriftstellerkollegen seine politische Haltung. "Er war der Apostel der Menschlichkeit", schreibt Romain Rolland. Und Heinrich Mann: "Victor Hugo hat eine große und ehrliche Verehrung für den Menschen gehabt."

Stand: 22.05.10