Stichtag

16. Mai 2010 - Vor 65 Jahren: Die Stute "Halla" wird geboren

An den hohen Hürden der australischen Bestimmungen für die Einfuhr von Tieren scheitert selbst das Internationale Olympische Komitee. Bei den Spielen 1956 in Melbourne müssen die Reit-Wettbewerbe daher in Stockholm ausgetragen werden. So wird Schwedens Hauptstadt zum Schauplatz eines der legendärsten Dramen des Sports. Trotz einer schweren Verletzung von Weltmeister Hans Günter Winkler holt die deutsche Equipe den Sieg im Springreiten und Winkler die Goldmedaille in der Einzelwertung. Möglich macht das Wunder von Stockholm ein Ausnahmepferd: Winklers Stute Halla. Die Geschichte von Halla beginnt gegen Kriegsende in Darmstadt, mit einer wenig imponierenden Ahnenreihe auf dem Hof des Bauern Gustav Vierling.

Wildfang mit Charakter

Während Hans Günter Winkler, 1926 in Wuppertal geboren, noch als Soldat für den "Endsieg" kämpft, lässt Vierling eine französische Beutestute namens Helène von einem Traberhengst decken. Am 16. Mai 1945 bringt Helène ein quicklebendiges Stutenfohlen zur Welt. Es wird auf den Namen Halla getauft. Von Anfang an beweist der Wildfang außergewöhnliche Intelligenz und einen höchst eigenwilligen Charakter. Nichts ist Halla gleichgültiger als der Wille des Reiters auf ihrem Rücken. 1952 übernimmt der zum viel versprechenden Springreitertalent herangereifte, aber mittellose Winkler die für den Parcours scheinbar völlig ungeeignete braune Stute. Es ist der Beginn einer einzigartigen, auf gegenseitigem Respekt beruhenden Beziehung zwischen Reiter und Pferd. Zwei Jahre später bereits gehören Winkler und Halla zur Weltspitze im Turniersport. 1954 gewinnen sie die Weltmeisterschaft in Madrid; im Jahr darauf wiederholen sie in Aachen ihren Triumph. Der Brasilianer Nelson Pessoa, lange Winklers größter Konkurrent, erinnert sich: "Da sah ich zum ersten Mal Hans Günter Winkler reiten. Das war eine der größten Vorstellungen im Springreiten, die man sich überhaupt vorstellen kann."

Sternstunde des Reitsports

Im Olympischen Turnier von Stockholm hat die deutsche Mannschaft beste Chancen auf den Sieg im Preis der Nationen. Gegen Ende des ersten Umlaufs erleidet Winkler eine schwere Verletzung in der Leistengegend. Doch um die Medaillenchancen zu wahren, müssen alle Reiter auch den zweiten Durchgang absolvieren. Mit Morphiumspritzen und einer Kanne Kaffee versucht der Mannschaftsarzt, Winkler fit zu machen. Vor Schmerzen schreiend wird er in den Sattel gehievt, ist kaum in der Lage, sein Pferd zu dirigieren. Der nun folgende Ritt vor einer schweigend erstarrten Zuschauerkulisse gilt bis heute als eine der Sternstunden des Reitsports. Nahezu ohne Winklers Mitarbeit nimmt Halla Hindernis um Hindernis und absolviert den Parcours als einziges Pferd mit null Fehlern. Zum ersten Mal nach Ende des Zweiten Weltkriegs erringt Deutschland Gold im Olympischen Turnier und Hans Günter Winkler die erste von fünf Goldmedaillen in seiner großen Karriere. 1960, nach insgesamt 125 gewonnenen Turnieren, darf Halla in den wohlverdienten Ruhestand. Sie bringt acht Fohlen zur Welt und stirbt am 19. Mai 1979 als alte Dame von 34 Jahren.

Stand: 16.05.10