Stichtag

07. September 2010 - Vor 60 Jahren: Das Berliner Schloss wird gesprengt

Nur noch wenige Baudenkmäler Berlins erinnern nach dem Zweiten Weltkrieg an die Geschichte Preußens. Von britischen Bombern zerstört, thront 1950 gegenüber der Museumsinsel im Ostteil die monumentale Ruine des Stadtschlosses, der einstigen Residenz der Kurfürsten von Brandenburg, Könige von Preußen und Deutschen Kaiser. Die Ursprünge des Schlosses reichen bis ins 15. Jahrhundert zurück; Generationen von Herrschern haben seither an-, um- oder neu gebaut. An Bedeutung vergleichbar mit dem Pariser Louvre, wird das Schloss ab 1698 von Baumeister Andreas Schlüter in seiner prachtvoll barocken Gesamtanlage vollendet. 250 Jahre später, im August 1950, beschließt das Politbüro der Deutschen Demokratischen Republik trotz lautstarker Proteste von Historikern und Intellektuellen, das marode Symbol von Preußens Gloria endgültig abzureißen.

Demo-Platz für Panzer-Paraden

Die erste Sprengladung geht am Mittag des 7. September 1950 hoch. Flügel um Flügel verschwindet das Schloss in gewaltigen Staubwolken; bereits nach sieben Monaten sind sämtliche Trümmer beseitigt. Die riesige Freifläche mitten in der Stadt heißt jetzt Marx-Engels-Platz und dient nach dem Willen von SED-Chef Walter Ulbricht als "Demonstrationsplatz, auf dem der Kampfwille und der Aufbauwille unseres Volkes Ausdruck finden können". Fortan marschieren am 1. Mai die werktätigen Massen, am 7. Oktober, dem Gründungstag der DDR, paradieren Panzerkolonnen vor den Spitzen des Regimes und im Dezember öffnet der Weihnachtsmarkt. Den Rest des Jahres verirrt sich kaum ein Mensch auf die weite Brachfläche. Das ändert sich erst, als Ulbricht-Nachfolger Erich Honecker beschließt, an dem historischen Ort ein neues Symbol sozialistischer Überlegenheit zu errichten: den Palast der Republik.

Showbühne des Sozialismus

Im April 1976 feiert die Republik die Eröffnung des prestigeträchtigen "Volks-Kulturhauses" im Quaderformat: 180 Meter lang, 85 Meter breit, 25 Meter hoch. Es beherbergt die Volkskammer der DDR und einen riesigen, mit allen technischen Raffinessen ausgestatteten Show-Saal, nebst großzügigen Wandelhallen, Restaurants und Bowlingbahnen. Die DDR-Bürger sind stolz auf "ihren" Palast - oder verspotten ihn als "Ballast der Republik", "Palazzo Prozzo" und "Erichs Lampenladen". Mit dem Ende des realen Sozialismus verliert auch das klotzige Zentrum der Volkskultur seinen Zauber. Im September 1990 wird der Palast, dem die Republik abhanden kam, wegen Asbestverseuchung geschlossen. Parallel zu den einsetzenden Forderungen nach einem Abriss forcieren private Förderer um den Hamburger Unternehmer Wilhelm von Boddien die Idee, das Preußen-Schloss in alter Pracht wiedererstehen zu lassen. 2002 stimmt der Deutsche Bundestag dem kostspieligen Vorhaben zu. Als dann 2006 der Palast der Republik selbst ein Opfer der Abrissbirne wird, scheint die Nachfolge für den Vorgängerbau gesichert. 2011 sollen die Arbeiten nach Plänen des Architekten Francesco Stella beginnen.Doch mit der Wirtschaftskrise kommt die Gegenwart der Vergangenheit in die Quere. Am 7. Juni 2010 verkündet Bundeskanzlerin Angela Merkel das vorläufige Aus für das Stadtschloss. Ein Wiederaufbau sei nach den Sparplänen der Bundesregierung bis mindestens 2014 nicht finanzierbar. "Merkel sprengt das Stadtschloss" titelt tags drauf die Berliner "taz".

Stand: 07.09.10