Stichtag

24. Juni 1781 - Die erste Spinnmaschine in Deutschland

Johann Georg Sieburg braucht dringend Garn. Der Textilfabrikant besitzt eine Weberei in Berlin. Noch werden die Fäden von Hand gesponnen, vier bis acht Spinner versorgen in Heimarbeit einen einzigen Weber. Doch die Nachfrage nach der neuen, angenehm leichten Baumwolle ist groß. Die kratzenden Stoffe aus Schafwolle oder schwerem Leinen sind nicht mehr angesagt. Sieburg schaut in den 1780er Jahren nach England. Dort hatte der englische Tüftler Richard Arkwright, ein ehemaliger Barbier, 1769 die Spinnmaschine patentieren lassen.  "Waterframe", Wasserrahmen, nennt er sie, weil sie von einem Wasserrad angetrieben wird und ihre Untereinheiten in einem stabilen Holzrahmen sitzen. Parallel angetrieben und bedient von fünf Personen - meist Kindern - spinnen zwei Maschinen 96 Fäden. Vormals saßen für die gleiche Menge 96 Spinner und Spinnerinnen an ihren Rädern.

Viele Fäden reißen in Berlin

Sieburg fehlen zunächst die technischen Kenntnisse, um eine Spinnmaschine zu bauen. Richard Arkwright hätte ihm seine Maschinen gern verkauft, aber England will seine marktbeherrschende Position als erste Industrienation schützen - mit Ausfuhrverboten für neue Technologien und Auswanderungsverboten für bestimmte Berufsgruppen, zu denen auch Maschinenspinner gehören. Die Lösung ist eine frühe Form der Industriespionage. Sieburg schickt zu Beginn der 1780er Jahre seinen Sohn nach England. Der Auftrag: Informationen über die mechanische Spinnerei einzuholen. Und tatsächlich gelingt es dem jungen Sieburg eine Spinnmaschine und eine Fachkraft auszuschleusen und nach Berlin zu bringen. 1781 entsteht die erste Spinnmaschine in Berlin und Sieburg nennt seine Spinnerei am Pariser Platz fortan "Englische Baumwollenspinn-Maschinen-Anstalt". Der Unternehmer lässt einen Teil der Maschinen mit Muskelkraft antreiben, das sind die sogenannten "Spinning-Jennys", und den anderen Teil vom Typ der "Waterframe" mit Pferdekraft. Sieburg möchte - wie Arkwright - eine Wassermühle als Antrieb nutzen. Denn Wasserkraft führt zu einer gleichmäßigeren Bewegung der Spinnmaschinen als Pferdekraft, bei der viele Fäden reißen. Die Berliner Behörden lehnen Sieburgs Anträge aber mehrfach ab. Denn Preußen versteht sich weiterhin als Agrarland und Handarbeitsgesellschaft. Wenige Jahre nach Sieburgs Tod 1801 verschwindet die Maschinenspinnerei aus dem Berliner Wirtschaftsleben.

Cromford im Rheinland

Dem Textilunternehmer Johann Gottfried Brügelmann in Ratingen bei Düsseldorf gelingt 1783 der perfekte Nachbau der "Waterframe". Er schmuggelt Modelle aus England nach Ratingen - und einen geschickten Mechaniker. Mit ihm baut er seine "Baumwollspinnerei auf englische Art" auf, angetrieben von einem Wasserrad. "Cromford" nennt Brügelmann seine Fabrik, nach Arkwrights erstem Fabrikstandort; als Werbung und Garantie für die Qualität seines Garns. 600 Leute arbeiteten bald im rheinischen "Cromford" – der ersten großen Baumwollspinnerei auf dem europäischen Festland. Dennoch gilt der Berliner Johann Georg Sieburg als erster Textilunternehmer, der die Hand- durch die Maschinenarbeit ersetzt und mit seiner "Baumwollenspinn-Maschinen-Anstalt" die Frühindustrialisierung eingeleitet hat - gegen den Willen der politischen Machthaber.

Stand: 24.06.2011

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