Joshua Abraham Norton ist mit den politischen Zuständen in den USA ebenso unzufrieden wie mit den Straßenverhältnissen in San Francisco. Ende 1859 ernennt sich der gescheiterte Kaufmann deshalb selbst zum "Kaiser und Herrscher der Vereinigten Staaten". Sein Dekret wird vom "San Francisco Bulletin" abgedruckt. "Mit der durch diesen Akt mir übertragenen Autorität beordere ich zum 1. Februar kommenden Jahres sämtliche Vertreter der Unionsstaaten in die städtische Music Hall, um dortselbst solche Gesetzesänderungen durchzuführen, welche geeignet sind, die Übel zu beseitigen, unter denen das Land leidet", können die erstaunten Bürger lesen.
Auch wenn nicht überliefert ist, wie viele Vertreter der US-Staaten besagten Termin wahrnehmen: Das Dekret ist der Beginn einer bemerkenswerten, 21 Jahre währenden und selbst zugewiesener Autorität beruhender Regentschaft.
Der Spekulant wird Kaiser
Geboren wird Norton vermutlich am 17. Januar 1811 in der kleinen britischen Gemeinde Priors-Lee bei Birmingham. Seine Jugend verbringt er zum Großteil in Südafrika, 1850 zieht er, mit dem stattlichen Vermögen von 40.000 US-Dollar ausgestattet, nach San Francisco. Das Geld indes verspielt er durch Spekulationen mit Reis. Mit 48 Jahren ernennt er sich zum Kaiser Norton I. der USA. Zunächst drucken die Zeitungen seine Dekrete ab, um den selbsternannten Monarchen bloßzustellen. Später werden seine "Befehle" nicht zuletzt deshalb publiziert, weil sie den Zeitgeist treffen und die Bürgermeinung widerspiegeln.
So weist Norton den Direktor der Cable Car Company an, die "Anker-Schraube an der Clay Street Railroad" gegen eine sichere Schraube auszustauschen; die "Benutzung des fürchterlichen Begriffs 'Frisco'" verbietet er unter Androhung einer Geldstrafe. Um den von vielen Mitbürgern beklagten Missbrauch politischer Ämter zu unterbinden, versuchte er einmal sogar, mittels "kaiserlicher Verordnung" den Kongress aufzulösen. Teils sind seine Zeitungsdekrete sogar visionär: Sein Vorschlag, eine Eisenbahnbrücke von Oakland nach San Francisco zu bauen, wird 30 Jahre später umgesetzt – auch wenn die Initiative, das Bauwerk nach dem ersten und einzigen Kaiser der USA zu nennen, am Widerstand Oaklands scheitert.
In Paradeuniform mit Biberfellzylinder und in Begleitung seiner beiden Hunde Bummer und Lazerus patrouilliert Norton I. durch die Straßen San Franciscos. Als Polizisten ihn als Landstreicher verhaften, muss sich der Polizeichef entschuldigen. Eine von Norton I. eingeführte Gegenwährung wird in San Francisco zeitweise als fast legales Zahlungsmittel akzeptiert, wobei der selbsternannte Monarch seine Rechnungen in Hotels und Restaurants selbst nie zahlen muss. Als Nortons Hund Bummer stirbt, schreibt Mark Twain den Nachruf.
Heirat mit Queen Victoria?
Ob Norton verrückt ist, wie seine Zeitgenossen glauben, ist nach neuestem Forschungsstand nicht sicher. Zu rational und vernünftig sind zahlreiche seiner Dekrete. Einem Bekannten soll er gar verraten haben, die Rolle des Regenten nur zu spielen. Die gekrönten Häupter der Welt jedenfalls spielen mit: Pedro II. von Brasilien besucht ihn während seines Staatsbesuchs in den USA, Queen Victoria, die mit ihm korrespondiert, soll Gerüchten zufolge sogar an Heirat denken.
"Le Roi est mort!", titelt der "San Francisco Cronicle", als Joshua Abraham Norton im Januar 1880 mit 69 Jahren auf offener Straße zusammenbricht. Wenige Tage später wird er in einem schlichten Sarg begraben: ohne Staatsbegräbnis, aber mit zehntausenden Bürgern San Franciscos im Gefolge.
Stand: 17.01.2011
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