Benito Mussolini, der selbst ernannte "Duce " ("Führer") Italiens, liebt effektvolle Inszenierungen. Eine davon ist 1922 der "Marsch auf Rom", der zum zentralen Mythos des italienischen Faschismus wird. Das Ereignis wird als Stunde Null eines neuen römischen Imperiums verherrlicht und alljährlich mit Paraden und Reden gefeiert. Immer wieder beruft sich Mussolini auf antike Vorbilder: "Das wiedererstandene Imperium Roms ist das Werk dieses neuen Geistes, der Italien beseelt", sagt er beim Berlin-Besuch im September 1937. "Die deutsche Wiedergeburt ist gleichfalls das Werk einer geistigen Kraft."
Der Rückgriff auf römische Größe ist keine Erfindung des Faschismus. Bereits vorher leitet Italien aus seiner antiken Geschichte den Anspruch ab, in Europa eine führende Rolle zu spielen. Um diese Rolle sieht sich das Land nach dem Ersten Weltkrieg betrogen: Zusammen mit den Alliierten sind die Italiener gegen die Mittelmächte angetreten und haben als Kriegsgewinner zwar Gebiete wie das Veneto und Südtirol erhalten. Auf weitere Ansprüche wie Dalmatien oder nordafrikanische Kolonien hat Italien aber verzichten müssen. Aus Sicht des Historikers Thomas Schlemmer vom Münchner Institut für Zeitgeschichte ist so das Trauma vom "verstümmelten Sieg" entstanden, eine Art Minderwertigkeitskomplex.
Mussolini wandelt sich 1914 vom sozialistischen Agitator zum nationalistischen Kriegstreiber. 1919 gründet er die faschistische Bewegung und bekämpft die Sozialisten mit Gewalt. Sein Mittel sind rücksichtslose Schlägertrupps, die "sqadre d'azione ". Ende 1921 wird eine Partei, "Partito Nazionale Fascista ", gegründet. Sie hat enorme Erfolge in der Provinz. Was zur Machtübernahme noch fehlt, ist die Eroberung der politischen Schaltzentrale Rom. Der Count-down beginnt am 27. Oktober 1922, als die Schwarzhemden, wie die Faschisten wegen ihrer Bekleidung genannt werden, Verkehrsknotenpunkte und kommunale Verwaltungsgebäude besetzen. Etwa 40.000 Kämpfer gehen am 28. Oktober vor den Toren Roms in Stellung. Die liberale Regierung von Luigi Facta will den Ausnahmezustand verhängen. Doch das Staatsoberhaupt, König Vittorio Emanuele III., verweigert die Unterschrift unter den Kabinettsbeschluss. Daraufhin tritt die Regierung zurück. Der König beauftragt Mussolini mit der Bildung einer neuen Regierung. Als der "Duce " am 30. Oktober 1922 mit dem Nachtzug in Rom eintrifft, ist noch kein Schwarzhemd nach Rom einmarschiert. Erst nach seiner Ernennung zum Regierungschef dürfen die Wartenden in die Stadt einziehen - durchnässt und hungrig.
Stand: 28.10.07