Rassismus, Enteignungen, Vertreibungen - in der Kolonie Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, ist die Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung an der Tagesordnung. Immer wieder kommt es zu Konflikten zwischen Einheimischen und den deutschen Kolonialherren. Im Januar 1904 eskaliert die Situation: Herero-Kämpfer überfallen Farmen und Ortschaften deutscher Siedler und ermorden über 120 Menschen. Der Aufstand wird von General Lothar von Trotha brutal niedergeschlagen. Während der Kämpfe flüchtet der Großteil der Herero, zumeist Frauen und Kinder, in ein Wüstengebiet. Tausende verhungern und verdursten dort, weil die deutschen Soldaten ihnen die Rückkehr verweigern. Von Trotha befiehlt die Ermordung jedes Herero, der innerhalb der Grenzen der Kolonie angetroffen wird. Daraufhin erheben sich auch die Nama, die von den Deutschen abschätzig als "Hottentotten" bezeichnet werden. Deren Guerilla-Taktik macht der deutschen "Schutztruppe" zwar schwer zu schaffen, doch auch die Nama werden zu Zehntausenden getötet.
Durch die anhaltenden und kostspieligen Kämpfe kommt es im Deutschen Reich zu einer politischen Krise: Im August 1906 legt Reichskanzler Bernhard von Bülow im Reichstag einen Nachtragshaushalt vor. Er verlangt zusätzlich 29 Millionen Mark für die Kolonialtruppen und den Bau einer angeblich kriegswichtigen Eisenbahn. Doch die SPD und die katholische Zentrumspartei stellen sich quer. Der SPD-Abgeordnete August Bebel prangert die deutsche Ausrottungsstrategie an und kritisiert den Kolonialkrieg als Bestandteil des Kapitalismus. Der Zentrums-Abgeordnete Matthias Erzberger fordert eine Reduzierung der Truppen und der von der Regierung beantragten Gelder. Als Reichkanzler von Bülow nicht nachgibt, lehnen SPD, Zentrum und die polnische Fraktion am 13. Dezember 1906 die Regierungsvorlage mit 127 zu 110 Stimmen ab. Unmittelbar nach dieser Niederlage löst von Bülow auf Anordnung von Kaiser Wilhelm II. das Parlament auf.
Der Termin für die Reichstagswahl wird auf den 25. Januar 1907 festgesetzt. Die Nationalisten nutzen den Wahlkampf für die so genannte Hottentottenwahl als Hetzjagd gegen die SPD und das Zentrum. Die beiden Parteien werden als "Vaterlandsverräter" abgestempelt. Trotzdem werden die Sozialdemokraten mit 28,9 Prozent der Stimmen stärkste Partei. Aufgrund benachteiligender Wahlkreiseinteilungen und der Wahlbündnisse der konservativen Parteien verringert sich jedoch die Anzahl der SPD-Abgeordneten von 81 auf 43. Das Zentrum wird mit 19,4 Prozent zwar zweitstärkste Partei und bleibt damit stabil. Doch der Bülow-Block - bestehend aus Konservativen und Nationalliberalen - erringt die meisten Sitze. Die neue Mehrheit im Reichstag billigt den Nachtragshaushalt. Reichskanzler von Bülow erklärt: "Die ganze Welt wird erkennen, dass das deutsche Volk fest im Sattel sitzt und alles niederreitet, was sich seiner Wohlfahrt, seiner Größe in den Weg stellt." Die Niederlage der SPD wirkt sich auch noch sieben Jahre später aus: Um nicht abermals als unpatriotisch zu gelten, stimmen die SPD-Abgeordneten unmittelbar nach Beginn des Ersten Weltkrieges im August 1914 fast geschlossen für die Kriegskredite.
Stand: 25.01.07